Kultur

„Stille Post“: Drama über den Kampf um die Bilder des Krieges

Ein Handyvideo verändert alles: Nach Jahren im Exil hofft ein kurdischer Lehrer auf ein Wiedersehen mit seiner tot geglaubten Schwester. Das emotionale Drama „Stille Post“ erzählt vom Kampf um die Bilder des Krieges und den Mechanismen der Medien.
von ohne Autor · 16. Dezember 2022
Plötzlich mittendrin in einem blutigen Konflikt: Khalil (Hadi Khanjanpour) und Leyla (Kristin Suckow).
Plötzlich mittendrin in einem blutigen Konflikt: Khalil (Hadi Khanjanpour) und Leyla (Kristin Suckow).

Aus diesen Bildern spricht die pure Angst. Eine Menschenmenge drängt sich auf der Straße. Im Hintergrund krachen Schüsse. Es sind Bilder des Krieges aus dem Südosten der Türkei. Tagelang feuerten türkische Sicherheitskräfte und kurdische Kämpfer*innen im Jahr 2015 in Cizre aufeinander. Die Zivilist*innen waren den Kämpfen in der abgeriegelten Stadt schutzlos ausgeliefert. Journalist*innen hatten keinen Zutritt. Es war an den mehrheitlich kurdisch Bewohner*innen, der Welt zu zeigen, was dort passiert.

Die Macht der Bilder

Mit diesem und weiteren verwackelten Handyvideo nimmt ein Drama seinen Lauf, das sich damit beschäftigt, wie stark in Kriegszeiten die Macht der und über die Bilder ist. Wie schwierig es ist, in den Medien Raum für eine Konflikt zu schaffen, der komplex und in mehrfacher Hinsicht „weit weg“ ist. Und nicht zuletzt auch damit, wie jemand von einem Krieg eingeholt wird, dem er im Exil entflohen zu sein glaubte.

Im Zentrum stehen der Grundschullehrer Khalil und Leyla, eine Fernsehjournalistin. Das Paar führt ein unauffälliges Leben in Berlin. Doch von einem Tag auf den anderen gerät es aus den Fugen. Leyla bereitet einen Beitrag über die Kämpfe in Cizre vor. Gemeinsam mit ihrem Partner sichtet sie Handyaufnahmen, die ihr von dort zugespielt wurden. Sie stammen aus Khalils Heimatstadt. Der meint, in der Videoaktivistin seine tot geglaubte Schwester Senem zu erkennen.

Plötzlich wird alles anders

Die daraus entstehende Dynamik bringt beide dazu, bisherige Prinzipien über Bord zu werfen. Khalil hatte sich in seinem geordneten Lehrerdasein eingerichtet und von Politik ferngehalten. Nun nimmt er nach langer Zeit wieder Kontakt zur kurdischen Community in Berlin auf. Er hofft, dass die Frauen und Männer, die die Sache der Kurd*innen aus dem Exil unterstützen, ihn zu Senem führen können. Die haben allerdings eine Bedingung: Khalil soll dafür sorgen, dass die Bilder aus Cizre ins Fernsehen kommen.

An dieser Stelle kommt Leyla ins Spiel. Das Problem: Die besagten Aufnahmen von der Geheimoperation des türkischen Militärs sind für ihre Redaktion nicht spektakulär genug und haben keinen „News-Wert“. Sie verliert jegliche journalistische Distanz, pfeift auf ihr berufliches Ethos und manipuliert die Bilder. Prompt werden sie gesendet. Und plötzlich bricht der Konflikt im türkischen Teil von Kurdistan mit voller Wucht in Khalils Alltag ein.

Eine Milieustudie über die Abgründe der Medienwelt in Kombination mit einem emotionalen Drama über die langen Schatten des Krieges: Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass sich der Schweizer Filmemacher Florian Hoffmann in seinem Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin ein bisschen viel vorgenommen hat. Ihm ist es allerdings gelungen, jene Aspekte stimmig und schlüssig miteinander zu verquicken, ohne seinen Film zu überfrachten.

Alte Wunden werden aufgerissen

Die zentralen Handlungsstränge laufen bei Khalil zusammen. Immer größer wird die Bürde, die er trägt. Und immer schmerzhafter werden die alten Wunden, die seine Aktivitäten im Verborgenen aufreißen. Heilung verspricht er sich davon, endlich mit Senem zu sprechen. Doch Heilung – das wissen auch die kurdischen Exilant*innen, die ihn für sich einspannen – ist in diesem Kontext ein rares Gut.

Immer tiefer verrennt sich Khalil in einen Strom aus Sehnsucht und Verzweiflung. Seine wachsende Isolation wird in Einstellungen mit zunehmend kühlen und düsteren Farbtönen aufgefangen. Der Schein des Alltäglichen wird nur begrenzt ästhetisiert, wohl aber entstehen intensive Stimmungen.

Nicht nur der Protagonist, auch die Zuschauenden werden immer wieder von den Schrecken des Krieges gepackt. Immer wieder werden Schnipsel von realen Handyfilmchen gezeigt, die Hoffmann von Informant*innen aus Cizre zugetragen wurden. Im Wechselspiel mit den Szenen von Khalils Berliner Leben ist ihre Wirkung umso verstörender. Aus dieser Mischung ergibt sich eine Erzählung von psychologischer Tiefe und politischer Brisanz. Beim Festival Achtung Berlin und anderen europäischen Wettbewerben erhielt Hoffmanns Werk, das vom ZDF koproduziert wurde, Auszeichnungen.

Augen öffnen

Dem 35-jährigen Regisseur und Drehbuchautor geht es nicht ums Moralisieren. Wohl aber möchte Hoffmann uns mit diesem vielschichtigen und sehr präzise und behutsam inszenierten Film die Augen öffnen. Und zwar nicht nur, was den in diesen Zeiten wenig Aufmerksamkeit genießenden Dauerkonflikt zwischen Ankaras Militär und kurdischen Rebell*innen betrifft. Auch beim Krieg in der Ukraine und anderen militärischen Auseinandersetzungen schwingt die Bedeutung wirkungsmächtiger Bilder mit. Und immer wieder stehen Fragen zu ihrem Wahrheitsgehalt im Raum.

Info: „Stille Post“ (Deutschland 2021), ein Film von Florian Hoffmann, Kamera: Carmen Treichl, mit Hadi Khanjanpour, Kristin Suckow, Aziz Capkurt, Jeanette Hain u.a., ca. 90 Minuten, ab zwölf Jahre. Im Kino

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