Kultur

Stets kontrovers

von Edda Neumann · 27. März 2009
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Der zweite Sohn von Katia und dem Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, der nur unter dem verkürzten Namen `Golo´ bekannt ist, heißt Angelus Gottfried Thomas Mann. Er wurde am 27. März 1909 in München geboren. Golo hatte zwei ältere Geschwister, Erika und Klaus, sowie drei jüngere, Monika, Elisabeth und Michael. Ab 1918 besuchte er das humanistische Gymnasium und ab 1923 die Internatsschule Salem.
Ein Leben lang verleugnete (lang) Golo Mann seine homosexuelle Veranlagung, was letztlich zu schweren Depressionen, Selbstzweifeln, hohen Zigaretten- und Tablettenkonsum führte. Am 7. April 1994 starb er in Leverkusen.

Im Schatten des Vaters
Tilmann Lahme berichtet sehr detailliert über Golo Manns nicht sehr glückliche Kindheit. Den Vater, Thomas Mann, schildert er als Übervater, an dem der Sohn Zeit seines Lebens gemessen wurde. Der Vater führte eine strenge Erziehung. Er legte großen Wert auf Konversation, was seine Kinder enorm stresste. Kein Wunder, dass Golo sich vor Tischgesprächen fast immer Notizen machte, um sich angemessen unterhalten zu können.
Nach Aussagen der Mutter soll Golo ein ängstliches Kind gewesen sein, dem "etwas merkwürdig Gesetztes und Altkluges" anhaftete. Heiterkeit und Fröhlichkeit hingegen waren ihm fremd.
Nach dem Abitur begann Golo Mann 1927 ein Jura Studium in München. Aber er wechselte noch im gleichen Jahr nach Berlin, um Geschichte und Philosophie zu studieren. Im Berlin Ende der zwanziger Jahre fand Golo Mann viel Zerstreuung und Amüsement. Zugleich lernte er berühmte Persönlichkeiten kennen, wie Alfred Döblin oder Walter Benjamin.
Ab 1929 studierte er in den Nebenfächern Volkswirtschaft und Geschichte in Heidelberg. In seinem Hauptfach Philosophie promovierte Golo Mann bei Karl Jaspers. Während dieser Zeit engagierte er sich auch in sozialistischen Studentengruppen und kritisierte zunehmend den Nationalsozialismus.

Emigration und Rückkehr
Überaus eindrucksvoll beschreibt Tilmann Lahme die Zeit der Emigration ab 1933. Der Leser kann sehr gut nachvollziehen, wie sich Golo Manns Einstellung zum Sozialismus allmählich veränderte. Ursprünglich stellte Mann sich einen gerechtes, friedliches, sozialistisches Europa vor: Klassenunterschiede sind beseitigt, der Nationalsozialismus ist überwunden, die Menschenrechte werden gewahrt und Minderheiten geschützt. Jedoch wird ihm schnell klar, dass dieses hoffnungsvolle Bild nichts mit der Realität der 30er Jahre zu tun hat.
Damals hielt Mann sich überwiegend in Frankreich auf, wo er als Lektor arbeitete. Darüber hinaus verbrachte er häufiger seine Zeit bei seinen Eltern in der Schweiz. 1936 wurde der Literatenfamilie schließlich die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Zwei Jahre später wanderte sie in die USA aus.
1940 emigrierte auch Golo Mann nach Amerika. 1943 trat er in die US-Armee ein. Tillmann Lahme schildert dessen Soldatenzeit in Europa während des Krieges, den Austritt aus der Armee 1946 und den Aufenthalt in Amerika.
Nach dem Tod des Vaters 1955 lebte Mann in finanzieller Sorglosigkeit und fing ein Leben als Schriftsteller an. In der unmittelbaren Nachkriegszeit beschäftigten ihn vor allem die Folgen des Zweiten Weltkrieges für das politische Handeln und für das historische Bewusstsein.
Golo Manns Verhältnis zu Deutschland war geprägt von einem tiefsitzenden ambivalenten Misstrauen. Dennoch entschied er sich 1959 für eine universitäre Laufbahn in seiner alten Heimat.

Langer Weg zum Erfolg
Der Weg zum Erfolg war beschwerlich und nicht frei von Rückschlägen. 1963 verhinderten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno Golo Manns Berufung zum Professor an die Universität Frankfurt am Main. Beide warfen ihm Antisemitismus vor. Doch ganz sicher spielten in dieser Feindschaft Rachsucht, Neid und Vergeltungsbedürfnis eine wichtigere Rolle als jener Vorwurf.
Später kam es zu einem Streit mit Karl Jaspers über Hannah Arendt. Golo Mann bescheinigte Arendts Schriften Originalitätssucht und Arroganz.
Vor allem die negativen Erfahrungen mit der 68er-Bewegung und wenig später die RAF-Attentate bewirkten, dass Golo Mann verstärkt mit konservativen Kreisen sympathisierte. Er setzte sich ganz besonders für Franz Josef Strauß. In der Folgezeit ließ Golo Mann sich immer öfter vereinnahmen und verlor die ihn bis dato charakterisierende geistige Souveränität. Am Ende siegten Selbstzweifel, Resignation und das Gefühl des Altseins.

Tilmann Lahme hat gründlich recherchiert. Er beleuchtet Golo Manns Lebensweg und literarisches Werk, die Persönlichkeit wie deren intellektuelle Entwicklung mit all ihren Brüchen. Golo Mann war vieles: Historiker, Hochschullehrer, Essayist, Schriftsteller und politischer Berater. Zudem jemand, der sich angesichts des dominanten Vaters seinen Weg erst erkämpfen musste. Tilmann Lahme thematisiert schließlich auch Golo Manns monumentale Wallenstein-Biographie und dessen Hauptwerk "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhundert", das 1958 erstmalig erschien und zum Bestseller wurde.

Tilmann Lahme: Golo Mann. Biographie, S. Fischer Verlag 2009, 551 Seiten, 24, 95 Euro, ISBN 978-3100432001

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Über sich selbst schreiben


Zeitgleich mit der Biographie erscheint der von Tilmann Lahme herausgegebene Prosa- und Essayband "Man muss über sich selbst schreiben". Darin enthalten sind Golo Manns Texte aus allen Schaffensperioden: Unveröffentlichte Erzählungen, Radioansprachen für den US-Rundfunk (1944-45), Positionen zur deutschen Ostpolitik und Porträts über Kennedy, de Gaulle und selbstverständlich über die Mitglieder seiner berühmten Familie.

Golo Mann: "Man muss über sich selbst schreiben. Erzählungen, Familienporträts, Essays, S. Fischer Verlag 2009, 275 Seiten, 19, 95 Euro, ISBN 978-3100479150
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Edda Neumann

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