Kultur

Stasi-Chef Erich Mielke – Meister der Angst

Was für ein Mensch war der Stasi-Chef? Das Dokudrama „Erich Mielke – Meister der Angst“ bemüht sich um eine Annäherung.
von ohne Autor · 6. November 2015
Kann noch immer drohen: Erich Mielke (Kaspar Eichel) als Häftling.
Kann noch immer drohen: Erich Mielke (Kaspar Eichel) als Häftling.

Mit den Massenprotesten im Herbst 1989 werden die schlimmsten Albträume der DDR- wahr. Auch den einst gefürchteten Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, fegt der Sturm der Geschichte im Nu hinweg: Im Dezember des gleichen Jahres landet der 82-Jährige hinter Gittern. Aus dem hoch dekorierten, vitalen Stasi-Chef und Armee-General wird ein alter Mann mit ärmlichem Jackett und Lederhut. Jener Hut ist das Einzige, was von Mielke zu Beginn des Films zu sehen ist.

Die „Wende“ aus Sicht der Stasi-Oberen erzählt

Fernsehbilder zeigen, wie er in einem Pulk von Menschen das Landgericht Berlin betritt. Dort steht er nicht wegen der Verbrechen im SED-Staat, sondern wegen des Mordes an zwei Berliner Polizisten Anfang der 30er-Jahre unter Anklage. Nach zweijährigem Prozess wird er zu sechs Jahren Haft verurteilt. Wenig später sehen wir die Utensilie und seinen Träger in einer Spielszene wieder: Im Haftkrankenhaus sitzt Mielke einer Psychologin gegenüber. Diese soll den prominenten Häftling befragen und ein Gutachten erstellen. Die Szenen sind erfunden, fußen aber auf tatsächlichen Befragungsprotokollen.

Nur widerwillig öffnet sich der Häftling. Am Ende gibt der frühere hauptamtliche Geheimniskrämer mehr von sich preis, als sein verstocktes Geknurre erahnen lässt. In der zweiten Erzählebene der Spielszenen erleben wir Mielke im Jahr 1989: In jenem Jahr, das für ihn auf dem Höhepunkt seiner Macht beginnt und mit dem Totalabsturz endet. Mit seinen Stasi-Generälen berät er Maßnahmen, wie der wachsenden Opposition im Lande beizukommen ist. Am Ende geht es nur noch um die Frage, wie Mielke und sein Apparat den „Tag X“ – seit dem Aufstand von 1953 das Synonym für eine erneute „Konterrevolution“ – möglichst unbeschadet überstehen.

Die „Wende“ aus Sicht der Stasi-Oberen zu erzählen, hat ihren Reiz, jedoch wird so die Chance vergeben, sich Mielke in offener Perspektive zu nähern: Schließlich weiß jeder, dass kurz darauf alles aus ist. Um mehr über den mächtigen Stasi-Chef zu erfahren, wäre es erkenntnisreicher gewesen, zu zeigen, wie sich Mielke vom Leiter der Polizeiinspektion von Berlin-Lichtenberg bis an die Spitze des Ministeriums für Staatssicherheit hochgearbeitet hat.

Poltern und Stammeln

Zwischendurch geben Zeitzeugen und Wegbegleiter Mielkes Erhellendes über das Wesen und Wirken jenes Mann preis, dessen Persönlichkeit jenseits des übermächtigen Stasi-Stigmas bislang weitgehend im Dunkeln lag. Das will die Koproduktion von MDR und Arte ändern. Fünf Jahre lang recherchierten die Filmemacher Jens Becker und Maarten van der Duin in Archiven und führten Interviews, um davon zu erzählen, was Mielke antrieb, woran er glaubte, wie er funktionierte, wie und woran er scheiterte. Schlussendlich soll geklärt werden: Wie wurde Mielke, was er am Ende der DDR war – oder wofür ihn andere hielten.

In dokumentarischen Passagen blickt der Film bis in Mielkes Kindheit und Jugend zurück: Ärmliches Hinterhofleben im Berliner Wedding, militanter Flügel der KPD mit klarem Freund-Feind-Schema und ein rasanter Aufstieg unter den Fittichen der Sowjets: Ähnliche Zutaten kennt man auch von anderen DDR-Protagonisten. Im Zusammenspiel mit späteren Episoden, in denen sich Mielke mit O-Tönen aus dem Off zu Wort meldet, ergibt sich jedoch ein eindringliches Gesamtbild. Zum Beispiel, wenn er in der vertrauten Mischung aus Poltern und Stammeln vor seiner Entourage über den Sinn des gemeinsamen Tuns schwadroniert.

Wenig Überraschendes gibt es zum privaten Menschen Mielke: Dass er kaum trank, seiner Frau treu war und die Jagd liebte, rundet das Bild des pedantischen und asketischen Dienstherren, der angeblich stets als erster im Büro war und geringste Verfehlungen, und sei es nur ein zu hart gekochtes Frühstücksei, tadelte, ab – wenngleich der König der Normannenstraße auch seine leutselige Seite zeigt.

Bewunderer Stalins und dessen Geheimpolizei

So gesehen führt der drastische Titel „Meister der Angst“ viel zu sehr in düstere Gefilde. Zwar schildert der frühere Stasi-Häftling und heutige Stasi-Unterlagen-Chef Roland Jahn in bedrückender Weise, wie das System des Bewunderers von Stalin und dessen Geheimpolizei den Dissidenten aus Jena und weite Teile der Bevölkerung einschüchterten. Auch Mielke selbst doziert in einer Spielszene gegenüber seiner Psychologin über das, was Angst vermag: „Angst ist die wirkungsvollste Triebfeder des menschlichen Handelns (…) Das ist Psychologie. Herrlich...So wenig Angst braucht man, um die Welt zu lenken.“ Unterm Strich erscheint Mielke aber vor allem als einfach gestrickter Mensch mit einem ausgeprägten Machtwillen, der sich aus krimineller Energie und dem rigiden Ordnungsdenken eines Polizisten speist. Wenngleich unerwähnt bleibt, warum er nie nach der ganzen Macht im Staat gegriffen hat.

Als die Macht – auch über die Angst der Massen – verloren ist, scheint der von Kaspar Eichel verkörperte Mielke jeden Antrieb verloren zu haben. Und doch flackert in den Befragungen immer wieder der „alte“ Mielke auf. Das macht diesen Erzählstrang außerordentlich spannend – zumal Eichel die berüchtigte Person weder als Karikatur noch als Monster, sondern als eine von der Zeitgeschichte durchdrungene Kunstfigur interpretiert. Gerade über jenes Kammerspiel im Knast ergibt sich ein anderer, wenn auch nicht komplett neuer Blick auf Mielke.

 

Info: Erich Mielke – Meister der Angst (Deutschland 2015), ein Film von Jens Becker und Maarten van der Duin, mit Kaspar Eichel, Beate Laaß, Ronald Jahn, Hubert Dreyling u.a., 95 Minuten. Jetzt im Kino

 

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