„Der Kalte Krieg ist vorbei“: Es ist eine dieser Schlagzeilen, die in dem historisch ungemein verdichteten Jahr zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung für Aufbruchstimmung sorgten. Nicht so bei der Norwegerin Katrine Evensen Myrdal: Für sie geht es nun ums nackte Überleben.
Da steht sie nun in einem Zeitungsladen im winterlichen Bergen und reagiert ratlos auf das, was sie da liest. Als sie einen Augenblick später den Kinderwagen ihrer Enkeltochter die Straße hinunterrollen sieht, ist ihr klar, dass der Strudel der Ereignisse sie fortzureißen droht.
Regisseur und Drehbuchautor Georg Maas nimmt uns mit auf eine verwirrende Reise in die Vergangenheit, in der nicht nur der Rassenwahn der Nazis, sondern auch die Stasi ihre Spuren hinterlassen haben.
Die Geschichte von Katrine (Juliane Köhler) beruht auf wahren, wenn auch unglaublichen Begebenheiten. Im Zweiten Weltkrieg förderten die Nazis Beziehungen zwischen deutschen Besatzern und norwegischen Frauen. In der NS-Ideologie galten deren Nachkommen als besonders wertvoll. Rund 250 von etwa 11.000 dieser Kinder verfrachteten die Deutschen in ein Heim des „Lebensborn“-Vereins nach Sachsen, wo sie, zynisch betrachtet, den Gen-Pool von Hitlers treuen Eliten auffrischen sollten. Die Mütter, die ohne Kontakt zu ihrem Nachwuchs im Norden zurückgeblieben waren, wurden nach 1945 als „Deutschenflittchen“ geächtet und drangsaliert. Auch die Stasi verfolgte mit den Kindern des SS-Kinderheims „Sonnenwiese“ ihr eigenes Interesse: Die Biografie vieler jener Entwurzelten stülpte sie jungen Agenten über, die sie nach Norwegen schickte. Nach dem Ende der DDR begann die Aufarbeitung dieser perfiden Ausbeutung.
Perfekte Idylle
All das umgibt als dunkler Schatten das Leben, das sich Katerine aufgebaut hat. Mit Anfang 20 war sie als ehemaliges „Sonnenwiesen“-Kind nach Norwegen gekommen, um nach ihrer Mutter zu suchen. Zumindest haben das bislang alle geglaubt. Dieses Bild gerät ins Wanken. Zunächst erleben wir die norwegische Klischee-Idylle: Die Mittvierzigerin sitzt mit Ehemann, Tochter und Enkelin am Frühstückstisch ihres Holzhauses am Meer. Draußen bläst der Wind, doch dieses Heim kann wohl nichts erschüttern. Schon gar nicht, wenn Katerines zupackende Mutter (Liv Ullmann) mit von der Partie ist.
Doch die düstere Vergangenheit hat das Paradies längst erreicht. Eines Tages steht ein junger Anwalt vor ihrer Tür, der Katrine dazu drängt, vor Gericht über ihr Schicksal auszusagen, um beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage auf Wiedergutmachung anzustrengen. Doch bei Katrine beißt er auf Granit. Weder ihre Familie noch der Zuschauer verstehen, warum sie so wenig Interesse an der Aufklärung hat. Überhaupt bleibt diese Frau über weite Strecken ein Rätsel: Am Anfang begleiten wir sie mit Perücke und Sonnenbrille auf dem Weg in ihr früheres Kinderheim. Später trifft sie immer wieder ältere Herren in konspirativer Absicht.
Schließlich beichtet sie ihrer Familie, dass sie ehedem nicht aus der DDR ausgereist (wie hätte das auch möglich sein sollen), sondern im Auftrag der Stasi nach Norwegen gekommen war. Es ist der Teil ihrer Biografie, den sie seit Jahrzehnten hinter sich gelassen zu haben glaubte. Nun fürchtet sie, enttarnt zu werden. Ihre Liebsten, mit denen sie stets um ein richtiges Leben im Falschen führen wollte und wohl auch geführt hat, sind am Boden zerstört. Doch auf Katrine lastet noch ein weiteres, weitaus bedrückenderes Geheimnis, das erst recht das Bild zerstört, das die anderen bislang von ihr gehabt haben.
Wer ist in einer Diktatur Täter oder Opfer? Wie weit gehen Menschen, um, so plakativ es auch klingen mag, jene Geborgenheit zu erlangen, die für andere selbstverständlich ist? In einer kammerspielähnlichen Situation erzählt „Zwei Leben“ davon, was Diktatur-Erfahrungen noch eine gefühlte Ewigkeit später für ein Individuum und dessen engsten Kreis bedeuten können. Vor allem Juliane Köhler glänzt in ihrer ungewohnt undurchsichtigen Rolle: Warum nur ist einem diese ebenso durchtriebene wie zerbrechliche und liebevolle Katrine von Anfang an sympathisch? Vor allem dieser Sog, der von Köhlers Spiel ausgeht, trägt diesen Film.
Öde Außenwelt
Liv Ullmann wirkt fast schon unterfordert. Mag auch ein Blick in ihre Augen genügen, um das Drama zu erahnen, dass Katrines Mutter durchmacht. Sprachlosigkeit vor allem mit, wenn auch vielsagendem Schweigen zu übersetzen, ist hingegen ein bisschen wenig. Überhaupt ist vieles an diesem Spionage-Psycho-Thriller unausgegoren. So beeindruckend Katrine mit ihren Nächsten ins Chaos taumelt, so unentschieden und blass ist das Drumherum, das letztlich den Rahmen für all das bietet. Musik und Ton tragen dick auf, doch das eigentliche Gefühl für jene Zeit ist seltsam abwesend, gerade einige Details zum Alltag der DDR-Spionin sind unglaubwürdig geraten. Großes Historien-Kino geht anders.
„Zwei Leben“ geht dieser Tage ins Rennen um eine Nominierung für den Auslands-Oscar 2014. Zeithistorische Stoffe aus deutschen Landen haben bei der Jury seit langem gute Chancen, wie sich zuletzt bei „Das Leben der Anderen“ gezeigt hat. Ob vor allem Juliane Köhlers Meisterleistung diesem Film zu ebensolchen Lorbeeren verhilft, wird sich zeigen.
Info: Zwei Leben (Deutschland/ Norwegen 2012), ein Film von Georg Maas, mit Juliane Köhler, Liv Ullmann, Rainer Bock, Ken Duken, Sven Nordin u.a., 100 Minuten. Ab sofort im Kino
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