Sophokles im Jobcenter
Unaufdringlich erzählte und ästhetisch ansprechende Komödien über die Verlierer der Gesellschaft gehören nicht gerade zur Königsdisziplin des deutschen Kinos. Insofern stellt dieser Film eine willkommene Abwechslung dar. Klar und unaufgeregt erzählt er von einer Schauspielerin, die sich unverhofft unter Hartz-IV-Empfängern wiederfindet und mit den Mitteln des Theaters Hoffnung schöpft und stiftet. Genauer gesagt: ausgerechnet mit den Mitteln der Tragödie.
Eben noch auf der Bühne des Ulmer Stadttheaters, jetzt im Jobcenter: Anna bekommt mit aller Härte zu spüren, was ihr der Intendant nach der geplatzten Vertragsverlängerung mit dem schönen Wort „Neuorientierung“ umschrieben hat. Beim Amt trifft sie ausgerechnet auf eine theaterbegeisterte Kundenbetreuerin. Als Eingliederungsmaßnahme soll sie eine Theatergruppe gründen und einige besonders hartnäckige Fällen bewerbungstauglich machen. Und damit auch selbst zu neuen Ufern aufbrechen.
Arbeitslose als Schauspieler
Als wäre die Sinnkrise der gescheiterten Aktrice nicht schon groß genug, muss sich die 36-Jährige nun mit Gestalten herumplagen, die bislang keinen Eingang in ihre gepflegte Altbau-WG gefunden haben: Ein Legastheniker, eine ungepflegte Dicke, ein insolventer Tischlerei-Betreiber, ein verbitterter Ex-Fahrlehrer, eine Mutter von zwei Kindern, der vor allem der Hochhaus-Alltag mit ihrem psychotischen Ehemann über den Kopf wächst, und ein draufgängerischer Grieche, der von einer Zukunft als Restaurantbesitzer träumt. Ausgerechnet mit diesen Leuten, die Anna bislang nicht auf der Bühne, sondern in der Gosse vermutet hätte, probt sie nun die griechische Tragödie „Antigone“.
Nicht ohne Grund, schließlich steht die Titelfigur symbolhaft dafür, auch unter schwierigsten Bedingungen ihre Würde zu bewahren. Mit moralischer Rigorosität kämpft sie gegen den Willen des Königs für ein ehrenvolles Begräbnis ihres Bruders. Wenngleich der Regisseur und Drehbuchautor Oliver Haffner dabei auch einen zentralen Aspekt ausblendet. Schließlich führt diese Haltung für Antigone, wie bei so vielen andere tragischen Figuren auch, in den Untergang. Erst aus dieser unausweichlichen Konsequenz erwächst die eigentliche moralische Wirkung.
Wie dem auch sei, das Leben der Mitglieder dieser zusammengewürfelten Theaterbande, aber auch deren gemeinsame Anstrengungen, gewinnen an Dynamik. Eine Aufführung im Stadttheater krönt die Mühen. Keine Frage: Dank des Kraftaktes, für den Anna mit den Laien zunächst einige Kämpfe durchstehen muss, öffnen sich ungeahnte Pfade in kreativer wie privater Hinsicht, wenngleich das Projekt mittendrin bürokratischen Zwängen des Jobcenters zum Opfer zu fallen droht.
Gelungenes Plädoyer für mehr Respekt
Mit der Verortung der Geschichte in der prosperierenden Donaustadt Ulm will Oliver Haffner deutlich machen, dass Armut und Arbeitslosigkeit oft gerade dort schlummern, wo sie niemand vermutet – nahezu im Verborgenen. Tatsächlich gelingt es ihm, verschiedenste abgestürzte Persönlichkeiten präzise und weitgehend klischeefrei in Szene zu setzen – sieht man davon ab, dass die Dicke sich so elegant wie ein Elefant bewegt und dem Griechen der Part des romantisch veranlagten Draufgängers zukommt. Kamera und Schnitt formen daraus eine Erzählung, die die Entwicklung und die Zentrifugalkräfte innerhalb der Gruppe verfolgt, ohne den Einzelnen aus dem Auge zu verlieren. Am Ende zeigt nicht nur jene „Antigone“-Premiere, sondern auch weitere Erzählstränge dieses Films, wie nah Tragödie und Komödie beieinander liegen.
Mag sein, dass Haffners Blick auf die Möglichkeiten des Theaters und der Tragödie, den Menschen zu läutern, naiv anmutet, wenn nicht gar gestrig. Das Plädoyer, Jobcenter-Kunden und andere „Randständige“ nicht über einen Kamm zu scheren oder abzuschreiben, ist jedoch in Zeiten der aufgelockerten, aber nicht minder aufpolierten Formen des Auftretens im realen wie virtuellen Raum mehr als ehrenwert, zumal es ästhetisch angemessen umgesetzt und eingerahmt ist.
Nicht zuletzt dank einer Reihe starker Darsteller, die die Entwicklung von abweisenden Frustrierten, die das Unternehmen begleiten müssen, zu engagierten Rampensäuen in berührender Weise verkörpern. Mit Hauptdarstellerin Katharina Marie Schubert hatte Haffner bereits für sein ähnlich gelagertes und preisgekröntes Filmdebüt „Mein Leben im Off“ zusammengearbeitet. Adam Bousdoukos (als Grieche Dimitri) war in diversen Filmen von Fatih Akin zu sehen.
Auch „Ein Geschenk der Götter“ erntete vor dem Kinostart zahlreiche Lorbeeren, etwa den Publikumspreis beim Internationalen Filmfest München. Was wäre wohl gewesen, hätte Haffner „Antigones“ tragischen Geist umfassender gedeutet? Sei's drum: Das Kino braucht mehr solcher origineller Berührungen mit Menschen am Rand der Gesellschaft.
Info:
Ein Geschenk der Götter (Deutschland 2014), ein Film von Oliver Haffner, mit Katharina Marie Schubert, Adam Bousdoukos, Katharina Hauter, Paul Faßnacht, Eva Löbau u .a., 102 Minuten.
Ab sofort im Kino