Ihr Leben ist symptomatisch für die politischen Gegensätze ihrer Zeit. Bereits 1977 veröffentlichte die aus der jüdischen Gelehrtenfamilie Kuczynski stammende Ruth Werner in der DDR unter dem
Titel "Sonjas Rapport" ihre ungewöhnliche Geschichte. Sie handelt von Spionage und Emigration, Liebe und Verrat; spielt in Deutschland, China, der Sowjetunion, Polen, der Schweiz und England.
"Sonjas Rapport" wurde in der DDR in 13 Auflagen insgesamt 500 000 Mal gedruckt. Das Buch erschien darüber hinaus in Bulgarien, Ungarn, der CSSR und der Sowjetunion Und es machte die Top-Agentin
des 20. Jahrhunderts Ruth Werner schon zu einer Zeit berühmt, als kaum jemand etwas von ihrer "Übermittlerrolle" in Sachen Atombombe wusste.
Zwei Jahre lang hatte "Sonja" vom Kernphysiker und Atomspion Klaus Fuchs - wie sie Emigrant und Kommunist aus Überzeugung - in England "sehr wertvolle Informationen" zum Bau der Atombombe
erhalten. Ihr Bruder Jürgen Kuczynski hatte ihr Ende 1942 diesen Kontakt vermittelt. Die Informationen leitete sie per Funk oder über ihren Verbindungsmann "Sergej" nach Moskau weiter. So half sie,
das Atombomben-Monopol der USA zu brechen.
Dieser Teil ihres Lebens und ihre Reflexionen über Stalins Verbrechen waren nachweislich schon in der von DDR-Spionagechef Markus Wolf Ende der 60er Jahre initiierten Ursprungsfassung
enthalten. Sie wurden 1977 allerdings nicht zur Veröffentlichung freigegeben - möglicherweise von DDR-Staatschef Erich Honecker und Stasi-Chef Erich Mielke, sehr wahrscheinlich jedoch von
sowjetischer Seite.
Erst 1991 konnten die brisanten Fakten in einer in London herausgegebenen englischen Version gedruckt werden. Die kürzlich zum 60. Jubiläum des zur Eulenspiegel Verlagsgruppe gehörenden
Verlags Neues Leben erschienene erste komplette deutsche Auflage von "Sonjas Rapport" folgt der englischen Fassung. Der Leser erfährt nun, welche Rolle Ruth Werner bei der Atomspionage spielte.
Mehr als einmal setze sie ihr Leben aufs Spiel. Bedeutsam sind auch ihre in den Grenzen ihres Selbstverständnisses geäußerten integren Gedanken über Stalins Verbrechen, denen ihr bekannte russische
und deutsche Kommunisten zum Opfer fielen. Ruth Werner betonte ausdrücklich, sie habe nicht für Stalin sondern für die Sowjetunion gearbeitet.
Zur Sprache kommt darüber hinaus ihr eigener "bitterer Anteil" an Opportunismus und Dogmatismus, von dem in der DDR selbst Menschen von lauterer Gesinnung nicht frei waren. Ruth Werner: "Ich
bekämpfte dieMissstände, die mir bekannt waren, aber eben nur insoweit, dass ich meine Parteizugehörigkeit behalten und weiter Bücher schreiben konnte. ... Ich arbeitete innerhalb der
Möglichkeiten, die mir offen standen. Heute mag das opportunistisch erscheinen, und ich muss mich fragen, wie oft ich dogmatisch war? Wie oft glaubte ich an Dinge, von denen ich heute weiß, dass
sie falsch waren? Wie oft glaubte ich, dass Genossen Verräter seien, von denen sich herausstellte, dass sie Opfer unseres deutschen Stalinismus waren? Die Erinnerung daran lässt mich erröten, und
das Nachdenken über 40 Jahre DDR und mein eigenes Verständnis ist noch nicht komplett..."
Eine wundervolle Ergänzung zu Ruth Werner Autobiografie stellt das sehr offene Gespräch dar, das der Berliner Journalist Rudolf Hempel mit ihren Kindern Michael P. Hamburger, Janina
Blankenfeld und Peter John Beurton über ihre Mutter, die verschiedenen Väter und ihr eigenes Leben führte. Die Antworten zeigen drei Menschen auf der Suche nach ihrer eigenen Position, die in
"Sonjas" turbulenter Kundschafter-Zeit ihren Anfang nahm und noch immer nicht zu Ende ist.
Ruth Werner: Sonjas Rapport, Erste vollständige Ausgabe, Verlag Neues Leben, Berlin 2006, 384 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-355-01721-3
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