Die führt bis in die Antike. Da beschreibt Cicero den Piraten als "Feind aller", mit dem nicht verhandelt wird, kein Frieden geschlossen wird und demgegenüber keine Abmachungen bindend ist. Diese Auffassung vom rechtlichen Sonderstatus des Piraten erhält sich bis in die Gegenwart. Im 16. Jahrhundert erklärt der Rechtsgelehrte Aberico Gentilis, der Pirat habe den "Bund des Menschengeschlechts gebrochen". Gewalt dürfe nur anwenden, wer sich an keine höhere Gerichtsbarkeit wenden könne, Fürsten etwa. Die vergaben dann auch seit dem 13. Jahrhundert Kaperbriefe und machten das vogelfreie Seefahrervolk zu Söldnern der Meere. Wurden die Freibeuter bei Friedensschluss arbeitslos, widmeten sie sich der Piraterie, nur um sich beim nächsten Krieg begnadigen zu lassen und ihr Geschäft wieder legal zu verfolgen. Erst die Pariser Deklaration von 1856 macht der Kaperei ein Ende.
Ein Feind, der die Flagge nicht hisst
Kaum ist die staatliche Räuberei auf internationalen Beschluss gebändigt, kommen neue Piraterievorwürfe auf, diesmal gegen die deutschen U-Boote. Ein Feind, der seine Flagge vor
Gefechtsbeginn nicht hisst und der nach der Versenkung keine Seeleute an Bord nimmt, verstößt empfindlich gegen die Konventionen der damaligen Seekriegsführung. Die Torpedierung des
Passagierdampfers Lousitania durch ein deutsches U-Boot 1915 führt letztlich zum Kriegseintritt der USA.
Es ist längst nicht das erste Mal, dass eine umstrittene Aktion auf dem Meer dem Verlauf der Geschichte eine neue Wendung gibt. Im ersten Jahrhundert vor Christus gestattete der römische
Senat dem Feldherren Pompeius uneingeschränkte Befehlsgewalt über sämtlichen Flotten des Mittelmeeres, um der Piratenplage Herr zu werden. Theodor Mommsen und die meisten Historiker nach ihm
waren überzeugt, diese Maßnahme habe den Weg für weitere Machtkonzentration geebnet und letztlich den Sturz der Republik eingeleitet.
Piraten in Guantanamo
Der Pirat, so verhasst, dass sich mit dem Kampf gegen ihn allerlei Rechtsbeugungen rechtfertigen lassen, ist damit die politische Parallelfigur zum heutigen Terroristen. Auch von ihm wird
erklärt, dass er ein "Feind aller" und damit seiner Rechte beraubt sei. Schon der Terrorismusverdacht reicht aus, um ihn auf Guantanamo zu internieren und zu foltern, ohne dass ein Urteil vor
einem ordentlichen Gericht gegen ihn erfolgt wäre.
Heller-Roazen hat keinen Essay geschrieben, aktuelle Bezüge nur angedeutet. Aber seine gut lesbare Geschichte der Piraterie, die vor allem die Bestimmung einer besonderen juristischen
Konstruktion ist, verweist immer wieder in die Gegenwart. Der Pirat ist nicht bloß der Fluch der Karibik, sondern der Erzfeind aller Regierungen, Gewässer und Zeitalter. Mit einer klaren
Gedankenführung macht Heller-Roazen transparent, wie die Juristen politischen Interessen folgen, um besondere Kompetenzen bei der Bekämpfung eines irregulären Feindes zu rechtfertigen.
Aus der Geschichte kann man nichts lernen? Vielleicht wenigstens das: Der Grundsatz "Recht ist, was dem Staate nützt", war damals schon so falsch wie heute.
Daniel Heller-Roazen: "Der Feind aller. Der Pirat und das Recht", S. Fischer Verlag, Frankfurt 2010, 348 Seiten