Kultur

„Silence Radio“: Eine Journalistin gegen das Schweigen in Mexiko

In keinem Land der Welt leben unbequeme Journalist*innen so gefährlich wie in Mexiko. Der Dokumentarfilm „Silence Radio“ zeigt, wie Carmen Aristeguis Kampf gegen korrupte Eliten ein ganzes Land bewegt. Er ist eine Würdigung weit über Mexiko hinaus.
von ohne Autor · 14. Mai 2021

Wieder einmal haben sich Menschen auf einer Straße in Mexiko-Stadt versammelt, weil sie um einen ermordeten Journalisten trauern. In die Trauer mischt sich die Wut über einen Staat, in dem kritische Stimmen buchstäblich zum Schweigen gebracht werden. In der aufgebrachten Menge ist eine unscheinbare, zierliche Frau zu erkennen. Mit wenigen Worten zieht sie die Menschen in ihren Bann. Ihre Trauerrede ist zugleich eine eindringliche Attacke auf Regierung und Behörden.

Der Name dieser Frau ist Carmen Aristegui, eine der bekanntesten Journalistinnen Lateinamerikas. In Mexiko deckte sie eine Reihe von politischen Skandalen auf. Immer wieder stellen ihre Beiträge die Herrschenden bloß. Traurig, aber wahr: Auch diese mutige Mexikanerin würden manche am liebsten zum Schweigen bringen.

Ein kritischer Bericht zu viel

Ein erster Schritt dahin wurde 2015 getan. Damals wurden Carmen Aristegui und weitere Kolleg*innen vom staatlichen Sender MVS gekündigt. Zuvor hatten sie über die Verwicklung des damaligen Präsidenten Peña Nieto in eine Korruptionsaffäre im Zusammenhang mit einem wichtigen Bahnprojekt berichtet. Aus Sicht ihrer Gegner*innen hatten sie den Bogen endgültig überspannt. Plötzlich war die  Stimme von Carmen Aristegui, die sich als eine der wenigen kritischen Fernsehjournalist*innen in Mexiko einen Namen gemacht hat, verstummt.

Diese plötzliche Stille und Leere war für Juliana Fanjul der Anlass, einen Dokumentarfilm über diese Ikone eines unabhängigen Journalismus zu drehen und ihr Schicksal gerade auch im Ausland öffentlich zu machen. Juliana Fanjul und vielen anderen (jungen) Mexikaner*innen, die sich nicht mit den Zuständen in ihrem Heimatland nicht abfinden, war und ist Carmen Aristegui mit ihrem Kampf gegen das Schweigen, das sich immer wieder über Verbrechen, Skandale und staatliches Versagen legt, nicht nur ein moralisches Vorbild, sondern auch eine unverzichtbare Quelle für Informationen. So kehrte die 1981 geborene Filmemacherin aus dem Schweizer Exil zurück und begleitete Aristegui mehrere Jahre lang durch den Alltag.

Und der bedeutet vor allem ein Leben unter ständiger Bedrohung. In keinem anderen Land der Erde werden so viele Journalistinnen und Journalisten umgebracht wie in Mexiko. Acht waren es laut der Organisation Reporter ohne Grenzen allein im vergangenen Jahr. Seit dem Jahr 2000 waren es 104.

Die Bedrohung ist stets präsent

Könnte es auch Aristegui irgendwann erwischen? Dieser Gedanke und diese Angst schwingt in jeder Szene mit. Der Film erzählt davon, wie die heute 57-Jährige mit ein paar Mitstreiter*innen einen eigenen Radiokanal im Internet aufbaut und gleichzeitig juristisch gegen ihre Kündigung vorgeht. Wir erleben eine quirlige und scheinbar unerschrockene Medienmacherin, die akribisch ihre Sendungen vorbereitet und ihr Team mit ihrem Optimismus mitzureißen versucht. Immer wieder wird die Begeisterung und die Solidarität eingefangen, die ihr entgegenschlagen. „Wir sind alle Carmen“, ruft eine Menge auf der Straße am Tag ihres Rauswurfs.

Was „Silence Radio“ so beklemmend und packend macht, sind oftmals nicht unbedingt die Bilder an sich. Wohl aber das Kopfkino, das sie in Gang setzen. Weil immer die Gefahr mitschwingt, die trotz fehlender Bebilderung nicht minder real ist. Die Einblicke in Aristeguis Redaktionsalltag bieten unterm Strich wenig Überraschendes. Um den Kontext zu erweitern, fährt Juliane Fanjul mit uns etliche Male auf der Autobahn. Während der Blick auf die zerfasernde Peripherie von Mexiko City fällt, kommt der Kommentar der Regisseurin aus dem Off. Dieser gibt der Erzählung den Rahmen und rechnet schonungslos mit den Eliten dieses für investigative Journalist*innen hochgefährlichen Landes ab.

Über Mexiko hinaus

Manchmal wird die Gefahr, die die Protagonistin Tag für Tag auf sich nimmt, aber auch visuell greifbar. Zum Beispiel in den Aufnahmen der Überwachungskameras in den Räumen ihres neuen Senders, die einen Einbruch dokumentieren. In ebenso erschreckender wie abstoßender Weise wird deutlich, wie wenig Menschen zu befürchten haben, die Medienschaffende ausspionieren und bedrohen.

Auch wenn der Fokus auf Mexiko liegt: „Silence Radio“ ist als Würdigung all jener zu verstehen, die weltweit das Schweigen brechen und die Dinge beim Namen nennen. Und zugleich ein Appell, gegen manipulative Medienstrukturen vorzugehen, die vielerorts an Einfluss gewinnen.

„Silence Radio“ (Schweiz/Mexico 2019), ein Film von Juliana Fanjul, mit Carmen Aristegui, 78 Minuten, OmU, ab 16 Jahren

Als Video on Demand auf verschiedenen Plattformen abrufbar
Mehr dazu auf https://jip-film.de/silence-radio

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