Sigmar Gabriel, der „demokratische Populist“
Der Kanzler ist da, aber er will nichts sagen – zumindest nicht dazu, ob er Sigmar Gabriel geeignet hält, Kanzlerkandidat der SPD zu werden. „Es wird heute keine Empfehlung an meine Partei geben“, teilt Gerhard Schröder den Journalisten gleich zu Anfang mit – zumal „der Blick zurück“ zeige, „dass es nicht funktioniert, wenn Altkanzler einen Kandidaten empfehlen“. 2012 hatte Helmut Schmidt in einem gemeinsamen Interview mit Peer Steinbrück den berühmt gewordenen Satz „Er kann es“ gesagt. Der Ausgang ist bekannt.
„Wegbegleiter und Widersacher“ von Sigmar Gabriel
Ein ähnliches Schicksal will Gerhard Schröder nicht auf sich ziehen. Deshalb habe er zunächst auch „sehr gezögert“, die Biografie der beiden Hauptstadt-Korrespondeten Christoph Hickmann (Süddeutsche Zeitung) und Daniel Friedrich Sturm (Die Welt) über Sigmar Gabriel vorzustellen. Die Fragen der Journalisten nach einer möglichen Kanzlerkandidatur Gabriels hätten ihn geschreckt.
Sicher ist einiges an Koketterie dabei als Gerhard Schröder Montag Vormittag in der Bundespressekonferenz auftritt, doch die Botschaft ist klar: Es geht hier heute um ein Buch über Sigmar Gabriel und um nichts anderes. Hickmann und Sturm haben dafür mit etwa 120 Personen aus Gabriels Umfeld gesprochen – „Wegbegleitern und Widersachern“, wie sie selbst sagen – zweimal auch lange mit Gabriel selbst. Entstanden sei „keine Auftragsarbeit, sondern ein unabhängiges, journalistisches Produkt“ auf gut 300 Seiten.
Ein neuer Blick auf den Menschen Gabriel
Gerhard Schröder gefällt es. So viel wird klar in seiner Würdigung, in der er betont, auch er habe bei der Lektüre „einen neuen Blick auf den Menschen Sigmar Gabriel“ gewonnen. Das will etwas heißen, denn schließlich kennen sich die beiden fast drei Jahrzehnte, seit Gabriel 1990 im Alter von 30 Jahren in den niedersächsischen Landtag einzog. „Man konnte schon damals sein politisches Talent erkennen“, kommt Schröder am Montag vor der Hauptstadtpresse fast ein wenig ins Schwärmen – was freilich nicht bedeutet, dass das Verhältnis zwischen den beiden stets harmonisch gewesen sei.
So schildern Hickmann und Sturm in ihrem Buch eine Szene, in der Gabriel türenknallend Schröders Büro verlassen habe. „Das stimmt so“, bestätigt Schröder die Geschichte. Doch immer wenn Gabriel aus einem Zimmer gestürmt sei, sei er auch wieder zurückgekehrt. Im übrigen verbinde beide heute „ein freundschaftliches Verhältnis“.
Gabriels „Fähigkeit zur politischen Flexibilität“
Auch den Untertitel der Biografie „Patron und Provokateur“ findet Schröder gelungen. „Es geht Sigmar Gabriel in seinem ganzen politischen Wirken um Patronage – aber im besten Sinne“, betont der Altkanzler: Benachteiligten Menschen zu helfen und ihr Fürsprecher zu sein, das sei es, was Gabriel antreibe. Was aber ist mit dem Provokateur? „Auch diese Zuschreibung ist richtig“, meint Schröder. „Sigmar Gabriel will die Menschen aufwühlen. Er ist ein demokratischer Populist – und das ist auch gut so.“ Gerade heute brauche es „kämpferische Demokraten“ wie Gabriel, die politische Botschaften prägnant und verständlich an die Bürger brächten.
Nur in einem stimmt Schröder dann doch nicht mit Hickmann und Sturm überein. „Ich teile Ihre Kritik nicht, Sigmar Gabriel sei sprunghaft oder gar unzuverlässig.“ Der SPD-Chef sei wendig, ja, aber dürfe man das einem Politiker vorwerfen? „Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, muss sich ein Politiker ihnen anpassen“, ist Schröder überzeugt und bescheinigt Sigmar Gabriel eine „Fähigkeit zur politischen Flexibilität“. Die jedoch solle niemanden Angst machen. Gefährlicher seien Politiker, die nie ihre Meinung änderten, weil sie überzeugt davon seien, sie würden die endgültige Wahrheit kennen. „Da wünsche ich mir mehr Fairness gegenüber Sigmar Gabriel.“
Schröder: „Mein Vertrauen hat er.“
Hat er also das Zeug zum Bundeskanzler? Auch Hickmann und Sturm geben sich am Montag eher zugeknöpft. „Der Vorsitzende der ältesten Partei Deutschlands sollte sich die Kandidatur zutrauen“, sagt Daniel Friedrich Sturm immerhin und: „Wenn er den SPD-Vorsitz behalten möchte, sollte er antreten.“ Am Ende ist es dann doch Gerhard Schröder, der ja eigentlich nichts zur K-Frage sagen wollte, der am konkretesten wird. „Die beiden Autoren sprechen Sigmar Gabriel die Fähigkeit zur Kanzlerschaft nicht ab: Was will man mehr?“ Und fügt dann noch hinzu: „Mein Vetrauen hat er.“
Christoph Hickmann, Daniel Friedrich Sturm: Sigmar Gabriel. Patron und Provokateur, dtv 2016, ISBN: 978-3-423-28104-1, 24 Euro
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.