Kultur

Sich nicht zu verlieren

von Die Redaktion · 25. November 2005

Sophie Scholl schreibt Fritz Hartnagel von der Schule, von der Probe für ein Märchenspiel, von Büchern, die sie liest und alltäglichen Verrichtungen im Haushalt ihrer Eltern ebenso wie von ihrem Wunsch den eigenen Weg zu finden. Ob sie auf Fahrt mit der Jungmädelgruppe ist oder in einem Kindergarten hilft, sie denkt an ihn, teilt ihm ihre Eindrücke mit, tauscht sich mit ihm aus und fragt sich doch, ob die Gegensätzlichkeit ihrer Anschauungen sie auf Dauer ein Paar sein lassen.

Er beginnt mit ihren Augen zu sehen. Der eigene Offiziersalltag verliert das Selbstverständliche - erst recht, als er mit dem Vorrücken der Truppen in Belgien und Frankreich mit dem täglichen Grauen des Krieges konfrontiert wird. Ihrer Konsequenz aber kann er sich nicht anschließen, noch nicht. Zum Ende hin wird er den Krieg nicht mehr mit verlängern helfen. Er wird sich dem sinnlosen Sterben widersetzen und sich mit seinen Leuten in Gefangenschaft begeben. Fitz Hartnagel sieht sich nicht im Gegensatz zu Sophie Scholl, will ihr aber alle Freiheit lassen, sie auf keinen Fall durch Bindung einengen.

Ein Stück des Weges miteinander zu gehen ist viel und gibt den beiden Halt, gerade, weil sie so um ihre Beziehung ringen. Der große Wert des publizierten Briefwechsels besteht für heutige Leser und Leserinnen vor allem darin, dass sie nachvollziehen können, wie die zivile Bevölkerung auch im Dritten Reich den Alltag des Lebens als gewohnte gesellschaftliche Realität lebt und wo die Grenzen des Erträglichen für ihren eigenen Weg suchende und zu ihren Gefühlen stehende Menschen liegen.

Den Wurzeln des Widerstands innerhalb des deutschen Volkes wird nachgespürt, ohne dass der Blick dafür verloren geht, dass die Widerständigen sehr allein waren in ihrem Umfeld.

Es ist Thomas Hartnagel, dem Sohn Fritz Hartnagels, dafür zu danken, dass er diesen Briefwechsel herausgeben hat. Der vermittelte Einblick in das Leben eines ungewöhnlichen Paares erweitert Kenntnisse über die konkrete historische Situation, über Widerstand und Alltag im Dritten Reich. Er regt zum Nachdenken über Beweggründe, Möglichkeiten und Alternativen individuellen Lebens anregen.

Dorle Gelbhaar

Sophie Scholl. Fritz Hartnagel "Damit wir uns nicht verlieren. Briefwechsel 1937 - 1943", herausgegeben von Thomas Hartnagel, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2005, 496 Seiten, 25,00 Euro, ISBN 310000425-6

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