Shortlist des Deutschen Buchpreises: Alternativen für Corona-gefährliche Treffen
Seit 2005 wird der Deutsche Buchpreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – eigentlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse – verliehen. Ausgezeichnet werden soll der beste deutschsprachige Roman des Jahres. Das waren in den vergangenen Jahren Robert Menasse „Die Hauptstadt“ (2017), Inger-Maria Mahlke „Archiipel“ (2018) und Saša Stanišić „Herkunft“ (2019).
Werben für das Buch
Natürlich geht es da nicht nur darum, Qualität zu unterstützen und den besonderen Gegenwartsroman zu identifizieren, sondern auch darum, für das gute Buch zu werben und dessen Absatz zu fördern. Bei einem Umsatzrückgang, von zwölf Prozent in diesem Jahr ist die Rede, ist letzteres wirklich ein legitimes Ansinnen – man wundert sich: Bedeutete der Lockdown nicht eigentlich mehr Zeit zum Lesen?
Deshalb geht es eben nicht nur um den einen Gewinner, sondern um den Auswahlprozess selbst. So wurde aus 206 Romanen, von 120 Verlagen eingesandt, zunächst eine Longlist von 20 Buchtiteln. Und jetzt liegt die Shortlist aus sechs Titeln vor. Die Spannung steigt, wer davon den mit 25.000 Euro dotierten Buchpreis erhalten wird, verdient hätten ihn wohl alle sechs. So formulierte es die Vorsitzende der Jury Hanna Engelmeier: „Die Shortlist trägt zugleich hervorragenden Titeln Rechnung, die sich biografischen und zeitgenössischen Themen auf überraschende Weise widmen“.
Die Autorinnen dominieren
Bei den nominierten Romanen überwiegen weibliche Autorinnen, in den Romanen Frauenfiguren, die Bücher sind weniger überdimensionierte „Wälzer“ wie in den vergangenen Jahren, es mischen sich noch unbekannte mit bereits erfolgreichen Schriftsteller/innen.
Zu den Büchern im Einzelnen:
Bei Bov Bjerg: Serpentinen (bei Claassen) reist ein Vater mit seinem Sohn in die eigene bedrückende Familiengeschichte und in die schwierige deutsche Vergangenheit.
Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik (bei Hanser) erforscht, woher eigentlich der Zucker kommt, was historische und literarische Nachforschungen mit sich bringt und viel mit dem aktuellen Thema der deutschen Kolonialgeschichte zu tun hat.
Der neue Roman von Thomas Hettche: Herzladen (bei KiWi) – wir erinnern uns alle an seine prämierte „Pfaueninsel“ (2014) – stellt sich vielen Facetten der deutschen Vergangenheit und verwebt diese mit großen Themen der Gegenwart. Herausgekommen ist eine spielerische und melancholische Reise in die Kindheit und in die Fantasie.
Deniz Ohde: Streulicht (bei Suhrkamp) begibt sich in die uns fremde Welt des postimigrantischen Arbeiter(innen)milieus, das mit seinen Integrations- und Aufstiegswünschen plastisch wird, „ganz ohne Klischees und didaktischen Zeigefinger“, wie es aus der Jury heißt.
Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos (bei Matthes&Seitz) zeichnet Teile des Lebens der 96jährigen Anne Beaumanoir nach, es geht um Resistance und algerischen Unabhängigkeitskrieg, vor allem um eine Hommage an eine wunderbare Frau.
Schließlich strandet im Roman von Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand (bei Berenberg) der deutsche Forschungsreisende Carsten Niebuhr 1764 auf der indischen Insel Elephanta und wird erkrankt von Einheimischen gepflegt – eine Erzählung über das Reisen, über die frühwissenschaftliche Erkundung der Welt und über die freundliche Aufnahme eines Fremden (einmal umgekehrt, nicht wie die heutigen Diskussionen um griechische Flüchtlingslager).
Gehaltvoll überwintern
Sprachliche Ausdruckskraft, formale Innovation, politische Dringlichkeit klug dokumentieren, aus unerwarteten Quellen schöpfen, besondere historische Stoffe entdecken, große allgemeine Fragen behandeln - das sind nur einige der Lobeshymen, wie sie die Jury sang. Das sollte neugierig machen, Anlass geben, sich selbst ein Urteil zu bilden. Die Tage werden kürzer, es wird bald kälter und nasser: Das Lesen dieser Bücher könnte sich als wunderbare Alternative erweisen zu allen Zusammenkünften in geschlossenen Räumen, die coronagefährdet bleiben!