Kultur

Serientipp „World on Fire“: Der 2. Weltkrieg zwischen Epos und Seifenoper

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges geriet das Leben von Millionen von Menschen aus den Fugen. Die aufwendig inszenierte Serie „World on Fire“ folgt mehreren, über Europa verteilten Lebenswegen. Die erste Staffel der BBC-Produktion gibt es jetzt fürs Heimkino.
von ohne Autor · 16. April 2021
Kurzes Glück: Harry (Jonah Hauer-King) und Kasia (Zofia Wichlacz) bei Kriegsbeginn in Warschau.
Kurzes Glück: Harry (Jonah Hauer-King) und Kasia (Zofia Wichlacz) bei Kriegsbeginn in Warschau.

Einige kennen es, je nach Altersklasse, aus den Erzählungen der Großeltern oder Eltern: Wie damals, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, nichts mehr so war wie vorher. Es sind für Nachgeborene oftmals unfassbare Erzählungen, in denen das persönliche Erleben weitaus mehr Raum einnimmt als der politische Rahmen, auch wenn beides von außen betrachtet ein Ganzes ergibt.

Auch die britische TV-Serie „World on Fire“ lebt von diesem persönlichen Blick auf den mörderischsten Konflikt der Geschichte. Allerdings unter völlig anderen Umständen. Die dem Vernehmen nach aufwendigste Produktion der BBC seit Jahren folgt dem Geschehen des ersten Kriegsjahres aus der Perspektive von Menschen in Manchester, Paris, Berlin und Warschau. Viele Lebenswege sind miteinander verknüpft. Daraus ergibt sich das zu erwartende Kaleidoskop aus Tragödie, Hoffnung und Chaos, wenngleich sich die ebenso epische wie psychologisch tiefgründige Erzählung durch einen unverbrauchten Blick auf die Dinge und auf in Dramen zur Zeitgeschichte bislang unterbelichtete Aspekte auszeichnet.

Britische und amerikanische Erzählperspektive

Trotz der Vielzahl an Akteur*innen und Schauplätzen dominiert am Ende aber doch die britische und auch amerikanische Erzählperspektive. Was auch nicht verwundert, wenn man sich vor Augen hält, für welche Länder diese Serie primär produziert wurde.

Die meisten Fäden laufen bei Harry Chase zusammen. Der junge Mann aus gutem Hause ist ein antifaschistischer Idealist, in emotionalen Dingen aber unstet. Kurz vor Kriegsbeginn im September 1939 verschlägt es ihn als Übersetzer an die britische Botschaft in Warschau. In Manchester lässt der polyglotte Charmeur seine Geliebte Lois Bennett zurück. Die Tochter eines traumatisierten Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg hat das Leben als Fabrikarbeiterin satt und träumt von einer Karriere als Sängerin.

Die schöne Zeit ist schnell vorbei

Harry und Lois ist keine glückliche Zukunft beschieden. Nicht unbedingt wegen der Klassenunterschiede, wohl aber, weil sich Harry in Polen in Kasia verliebt. Die süßen Tage sind allerdings schnell vergangen. Nach dem Einmarsch der Deutschen stehen die junge Kellnerin und ihre Familie am Abgrund. Harry wiederum begibt sich durch den Krieg auf den Weg zu seiner Bestimmung, die zunächst weder ihm noch dem Publikum klar ist.

Ein weiterer Dreh- und Angelpunkt ist die Journalistin Nancy Campbell. Von Berlin aus sendet die US-Amerikanerin Radioberichte über den Krieg und die Verhältnisse im NS-Staat. Zugleich hält sie Kontakt zu ihrem Neffen in Paris – einem Krankenhausarzt, der ausgiebig die dortige Jazz- und Homosexuellen-Szene erkundet. Im Kontrast zu den Einzelschicksalen skizziert Nancy immer wieder die großen Linien jener Zeit, wenn sie sich als Erzählerin aus dem Off meldet. Nichts scheint diese selbstbewusste Frau schrecken zu können. Als ihre Nachbarschaft ins Visier der NS-Mordpolitik gerät, wird sie allerdings auf eine harte Probe gestellt.

Dem Drehbuchautor und zweifachen BAFTA-Gewinner Peter Bowker ging und geht es bei „World on Fire“ darum, zu erzählen, was „gewöhnliche“ Menschen (anstelle von klassischen Entscheidungsträger*innen) in extremen Zeiten erleben, wie sie über sich hinauswachsen oder sich neu erfinden. Aber auch, wie bislang unverarbeitete Verletzungen und Komplexe eine ohnehin schwierige und schwere Zeit noch komplizierter machen. Oder ermöglicht gerade das Kriegsgetöse die große Selbstreinigung?

Glatte Bilder und komplexe Figuren

Man sollte sich von der oftmals weichgezeichneten Bildsprache und der durchgestylten Ausstattung nicht täuschen lassen: „World on Fire“ ist alles andere als aalglatte und vorhersehbare Mainstreamkost. Die Serie wurde akribisch konzipiert und wartet mit komplexen Figuren auf. Einige würden für sich eine komplette Serie tragen.

Es hat allerdings seinen Preis, wenn eine knapp 60-minütige Episode mehrfache Wechsel zwischen völlig unterschiedlich gelagerten Figuren und Schauplätzen erlebt. Unter diesen für eine Seifenoper typischen Sprüngen leiden mitunter historische Details oder die Glaubwürdigkeit der Handlung. Dass das ausgelutschte Konstrukt „Ein Mann zwischen zwei Frauen“ den emotionalen Anker einer ganzen Serie bildet, ist wohl mit der Motivation zu erklären, möglichst viele Menschen für diese Materie zu begeistern. Als ob diese an berührenden Schicksalen reiche Ära eine derartige Emotionalisierung nötig gehabt hätte!

Brücke in die Gegenwart

Und doch bietet das Konvolut an Geschichten immer wieder überraschende und überwältigende Momente. Zum Beispiel, wenn deutlich wird, dass die britische Gesellschaft und besonders das Militär diverser waren, als viele heute denken dürften. Es war eben nicht allein der „weiße Mann“, der Hitler die Stirn bot. Und nicht nur die Frage, wie mit Geflüchteten umzugehen ist, schlägt eine Brücke in die Gegenwart. Letztendlich sind viele Kämpfe, Träume und Ideale, um die es in „World on Fire“ geht, zeitlos. Eine zweite Staffel ist in Vorbereitung.

Info: „World On Fire“ (UK 2019), Staffel 1 (sieben Episoden), Regie: Chanya Button, Thomas Napper, Adam Smith und Andy Wilson , Drehbuch: Peter Bowker, mit Jonah Hauer-King, Julia Brown, Sean Bean, Helen Hunt, Zofia Wichlacz, Lesley Manville, Max Riemelt u.a., ab 16 Jahre

Als DVD, Blu-ray und digital

https://www.pandastorm.com/detail/worldonfire_s1/

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