Kultur

Serie „Deutsches Haus“: Das Schweigen der Anderen

Der Frankfurter Auschwitz-Prozess war der erste Strafprozess gegen ehemalige SS-Offiziere wegen ihrer Verbrechen im Konzentrationslager. Für die Mini-Serie „Deutsches Haus“ wurde er nun verfilmt – auch wegen der AfD.
von Kai Doering · 9. November 2023
Zeugin der Anklage: Rachel Cohen (Iris Berben, r.) und Dolmetscherin Eva Bruhns (Katharina Stark)
Zeugin der Anklage: Rachel Cohen (Iris Berben, r.) und Dolmetscherin Eva Bruhns (Katharina Stark)

Wäre der Übersetzer aus Polen mitgekommen, wäre ziemlich sicher alles anders geworden. Dann hätte Eva Bruhns nicht von den Gaskammern erfahren und von den Verstrickungen ihrer eigenen Familie in die Vorgänge in Auschwitz. So aber springt die junge Dolmetscherin ein und sitzt an einem Sonntag im Dezember 1963 im Landgericht in Frankfurt und übersetzt, was ein Überlebender des Holocaust zu berichten hat.

Im Brockhaus stand nur ein Dreizeiler zu Auschwitz

Es ist eine der unfreiwillig komischen Szenen der ersten Folge der Mini-Serie „Deutsches Haus“, denn statt von Häftlingen spricht Eva Bruhns von Gästen, statt von Baracken von Herbergen und statt vom Gas von Licht. Es ist eben schwer, Wörter zu übersetzen, wenn man den Zusammenhang nicht kennt. Und den kannten viele Deutsche nicht, damals zu Beginn der 60er Jahre.

Im Brockhaus fand sich unter dem Stichwort „Auschwitz“ nur ein Dreizeiler, auch das wird in einer Szene der ersten Folge gezeigt. Evas Schwester Annegret kommentiert den nur kurzen Abriss im Lexikon mit den Worten: „Dann wird es wohl nicht so wichtig gewesen sein.“ Dass Auschwitz heute jeder und jedem ein Begriff ist, ist vor allem ein Verdienst von Fritz Bauer. Der hessische Generalstaatsanwalt wurde zur treibenden Kraft des Frankfurter Auschwitz-Prozesses gegen 22 SS-Aufseher im ehemaligen Konzentrationslager. Von dem Prozess handelt die Mini-Serie „Deutsches Haus“.

Gekonnter Spagat zwischen Dokumentation und spannender Geschichte

Der Name ist durchaus doppelt zu verstehen. Zum einen betreiben Evas Eltern in Frankfurt die Gaststätte „Deutsches Haus“, wo in piefiger Gemütlichkeit Hausmannskost und frisch gezapftes Bier serviert werden. Zum anderen zeigt die Serie die Zustände in der Bundesrepublik der Wirtschaftswunderjahre, in denen die Schrecken der Nazi-Zeit und des Zweiten Weltkriegs am liebsten vergessen werden. Das „deutsche Haus“ als ehrenwertes Haus, in dem Juden-Hass („Sie halten sich eben immer noch für etwas Besseres.“) ebenso weiter seinen Platz hat wie die Verklärung der Nazi-Zeit („Ich habe nie bessere Musik gehört als vom Orchester im Lager.“).

Der Serie gelingt dabei gekonnt der Spagat zwischen Dokumentation und spannendem Erzählen. Als Zuschauer*in fiebert man mit, wenn Eva Stück für Stück hinabsteigt in die Abgründe der Zeit zwischen 1939 und 1945 und dabei auch die Geheimnisse ihrer eigenen Familie lüftet. Die Frage „Was hast du damals getan?“ wird hier sehr lebendig. Gleichzeitig ist es den Regisseurinnen Isa Prahl und Randa Chahoud gelungen, die Prozess-Szenen nahezu dokumentarisch wiederzugeben. Bei der Verlesung der Anklage fokussiert sich die Kamera mehr und mehr auf den Mund des Staatsanwalts, alles andere rückt in den Hintergrund, um den Schrecken der begangenen Verbrechen für sich wirken zu lassen.

Mehr als 400 Stunden Tonband-Aufnahmen

Annette Hess, die sowohl die Romanvorlage als auch das Drehbuch für „Deutsches Haus“ geschrieben hat, hat sich intensiv mit den Prozessakten beschäftigt. Mehr als 400 Stunden Tonband-Aufnahmen hat das Fritz-Bauer-Institut bereits vor einigen Jahren im Internet veröffentlicht. Hess hat sie wieder und wieder gehört. Der Großteil der Aussagen in der Serie ist Originalton. Sowohl die jüdischen Zeug*innen – allen voran Iris Berben – als auch die Täter (u.a. Heiner Lauterbach) gewinnen so eine besondere Authentizität.

Das Perfide: Während den Zeug*innen die Traumata auch knapp 20 Jahre nach Kriegsende noch deutlich anzusehen sind, haben es die Täter zu Wohlstand gebracht und empfinden ihre Anklage als Anmaßung – eine durchaus weit verbreitete Einstellung in den frühen Jahren der Bunderepublik. Was gewesen ist, soll ruhen. Schweigen als erste Bürgerpflicht.

Eigentlich hatte Annette Hess gar nicht gewollt, dass ihr Roman verfilmt wird, erzählte sie nach der Premiere der ersten beiden Folgen in Berlin. Doch der Aufstieg der AfD habe ihre Meinung geändert. „Ich wollte, dass das Thema noch mehr Menschen erreicht“, sagte Hess zur Begründung. Auch habe sie den Opfern eine Stimme geben wollen. Nicht nur deshalb sind der Serie möglichst viele Zuschauer*innen zu wünschen.

„Deutsches Haus“, Mini-Serie in fünf Folgen, ab 15. November im Stream auf Disney+

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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