„Senor Kaplan“: Nazi-Jagd am Traumstrand von Uruguay
Von wegen ruhiger Lebensabend: Für viele Menschen werden gerade die späten Jahre äußerst ungemütlich. Nicht etwa allein aus gesundheitlichen Gründen, sondern auch, weil sie sich fragen, was sie in ihrem Leben geleistet haben. Auch Jacob Kaplan plagen derlei Zweifel. Eigentlich geht es dem 76-Jährigen ziemlich gut. Mit seiner Familie hat er sich im soliden Wohlstand von Montevideo eingerichtet. Doch sein Dasein in der angeblich sichersten Hauptstadt Lateinamerikas kommt ihm zunehmend sinnlos vor.
Senor Kaplan flieht vor der eigenen Bedeutungslosigkeit
In der jüdischen Gemeinde fühlt er sich wie ein Niemand. Als Kind, vor seiner Flucht aus Polen, als er noch Yankele hieß, hatten sie ihm eingetrichtert, dass ein besonderes Schicksal besonders erstrebenswert sei! Und dann auch noch das: Weil seine Augen immer schlechter werden, verliert er den Führerschein. Neben der Bedeutungslosigkeit droht ihm nun auch noch die Abhängigkeit von anderen. Jakob entscheidet sich für die Flucht nach vorn. Da erweist es sich als ein Glücksfall, dass sein treu sorgender Sohn ihm den chronisch abgebrannten und versoffenen Ex-Polizisten Wilson Contreras als Fahrer verordnet. In ihm sieht er den passenden Partner, um endlich die langersehnte Heldentat zu verbringen. Und die lautet: Wir kidnappen einen alten Nazi und schaffen ihn nach Israel!
Die Idee kommt nicht von ungefähr: In Südamerika strandeten im und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur viele jüdische Europäer, sondern auch etliche Nazis. Einige von Letzteren landeten gemäß Plot einst mit dem Schiff „Estrella“ („Stern“) in Buenos Aires. Grund genug für Jakob und Wilson, den alten Deutschen unter die Lupe zu nehmen, der seit Jahrzehnten eine Strandbar gleichen Namens betreibt. Für die beiden Freizeit-Ermittler ist klar: alles nur Tarnung! Mit jedem Tag, wo sie den großen und drahtigen Weißhaarigen – ein wahres Prachtexemplar eines SS-Ariers – vor den tosenden Atlantikwellen beschatten, wächst in ihnen die Gewissheit und Entschlossenheit, die Sache bis zum Ende durchzuziehen. Ganz nach dem Vorbild der Entführung von Adolf Eichmann, dem Organisator der Deportationen in die NS-Vernichtungslager, durch den israelischen Geheimdienst. Eine Haltung, die bekanntlich nicht vor Verblendungen und Fehltritten schützt.
Erfüllung des Plans eher nebensächlich
Regisseur Alvaro Brechner ist ein zeitloses Stück darüber gelungen, wie sich Menschen auch in scheinbar auswegslosen Situationen aufraffen und ihr Leben in die Hand nehmen – sei es auch, um ein wahnwitzige Idee in die Tat umzusetzen. Und das nicht nur im Rentenalter: Jakobs Partner Wilson könnte sein Sohn sein und steckt mitten in seiner ganz eigenen Krise. Seinen Job als Polizist ist er schon lange los. Frau und Kinder sind beim Schwager. Sein einziger Trost: Flippern und Saufen. Jakobs Mission ist sein Ticket in ein Leben mit Sinn und Struktur. Doch auch dieses Ziel ist mit vielen Hürden gespickt.
Es ist eine schiere Lust, die beiden Männer dabei zu beobachten, wie sie mit einem hemmungslosen Hang zum Improvisieren ihre Recherchen im Milieu vorbelasteter deutscher Immigranten vorantreiben und dabei von einer Peinlichkeit in die nächste stolpern. Das Ganze gerät allerdings weder zur reinen Slapstick noch zur Farce, selbst wenn zwischendurch Serge Gainsbourgs beliebte Interpretation von „SS in Uruguay“ erklingt. Die Erzählweise überzeugt viel mehr durch eine Mischung aus Warmherzigkeit und lakonischem Humor. Ein Stil, der nicht besonders experimentell anmutet, in seiner Behutsamkeit aber der Geschichte und ihren Figuren mehr als gerecht wird. Jakob und Wilson erscheinen als Wiedergänger von Don Quijote und Sancho Panza: von hehren Idealen beseelt, aber nicht immer mit dem besten Blick für die Realitäten ausgestattet. Auf ihrer fast schon märchenhaften Reise zu neuen Ufern und auch zu sich selbst machen auch die Zuschauenden immer wieder große Augen. Im Vorbeigehen werden ihnen obendrein pointierte Einblicke in die sozialen Realitäten Uruguays serviert.
„Dramödie“ mit autobiografischen Zügen
Mit dieser – wegen des fast dauerpräsenten Atlantiks von einem schier paradiesisch-maritimen Ambiente umwehten – Dramödie arbeitet der 1976 geborene Brechner auch einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte auf, die viel mit Jakob/Yankele zu tun hat. Sein Großvater verließ Ende der 30er-Jahre Polen, um in Südamerika neu anzufangen. So lenkt sein Film den Blick auch darauf, was es bedeutet, wenn Menschen ihre Einbildungskraft nutzen, um zu überleben.
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