Kultur

Seltsame neue Welt

von ohne Autor · 26. April 2013

Etwas hilflos steht die Gruppe um einen Laptop herum. Aus dem Lautsprecher plärrt das „Lied der Deutschen“. Willkommen im ganz normalen Alltag eines Integrationskurses! Welche Schicksale dahinter stecken, davon erzählt Britt Beyers Dokumentarfilm „Werden Sie Deutscher“ mit subtilem Humor.

Irritiert diese Menschen, die unter anderem aus Syrien, Bangladesch, Bulgarien, Argentinien und China stammen, der feierliche Ernst der Hymne oder versuchen sie einfach nur, sich auf den Text zu konzentrieren? Es ist eine dieser Szenen, die im Kleinen zeigen, was es heißt, in in einem fremden Land mit einer noch fremderen Kultur anzukommen.

Komik und Tragik
Gedreht wurde vor allem an der Volkshochschule im Berliner Bezirk Mitte. Doch die Szenen stehen für Erfahrungen und Situationen, die Zuwanderer Tag für Tag auch in anderen deutschen Regionen durchleben.
Die rund 660 Kursstunden in Sachen Sprache und „Orientierung“ mit einer erfolgreichen Abschlussprüfung hinter sich zu bringen, ist für viele Migranten die Voraussetzung für ein dauerhaftes Leben in der Bundesrepublik: So steht es im Zuwanderungsgesetz, das vor einigen Jahren eingeführt wurde. Anderen geht es darum, eine Arbeitserlaubnis oder Sozialleistungen bewilligt zu bekommen. So entscheidet jede Prüfung über ein Schicksal. Die Durchfallquoten sind allerdings hoch: Von etwa 20 Migranten, die Beyer kennengelernt hatte, bestand nur jeder vierte den Deutschtest.

Zehn Monate lang hat sie ihre Protagonisten im Unterricht und zu Hause begleitet. Das Ergebnis lebt weniger von Betroffenheit als von einer offenen Perspektive: In leisen Tönen lässt einen der Film, der gänzlich ohne Kommentar auskommt, das Gefühl des Schwebens nachempfinden, das vielen dieser Kursteilnehmer innewohnt: getragen von diffusen oder ganz konkreten Ängsten und Hoffnungen bezüglich einer Zukunft in Deutschland. Eben das verbindet diese Menschen, die teilweise bereits seit Jahren hier leben oder erst vor Kurzem aufgebrochen sind. Ansonsten haben sie wenig gemeinsam.

Beyer entdeckt in diesem Schwebezustand immer wieder auch das Skurrile und Absurde: Zum Beispiel, wenn der Dozent fragt, was sein Publikum unter deutschem Humor versteht und dafür ratloses Schweigen erntet. Oder dass die Kursteilnehmer ihr wohl auch kopfschüttelndes Lachen kaum unterdrücken können, als sie sich mit den Stereotypen verschiedener Migrantengruppen befassen: Ali erscheint mal wieder spät zum Termin auf dem Amt, weil er lieber Kaffee trinken geht. So steht es im Lehrheft. In langen Einstellungen und mit einem angenehm bedächtigen Schnitt kostet Beyer die bisweilen bittere Komik solcher Szenen voll aus.

Das Nebeneinander von komischen und bedrückenden Nuancen zieht sich durch den gesamten Dokumentarfilm. So gewinnen die verschiedenen Gesichter der Migration an Farbe, obwohl der Alltag der Protagonisten außerhalb des Kurses weitgehend unberührt bleibt. Was Letzteres betrifft, zählt Shipon Chowdhury zu den wenigen Ausnahmen. Selbst in seinem Leben finden sich Details, die einen schmunzeln lassen. Als 17-Jähriger kam er ganz allein aus Bangladesch nach Deutschland. Mittlerweile ist er mit einer Deutschen verheiratet. Jede Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist eine Zitterpartie.

Mag Chowdhury im Sprach- und Orientierungskurs die anderen Teilnehmer meilenweit abhängen: Die ungewisse Zukunft und dass ihn die Behörden einer Scheinehe verdächtigen nagt an ihm und seiner Frau. Die Kamera ist den beiden dabei dicht, aber behutsam auf den Fersen. Gerade in jenen Momenten, wenn kein Wort gesprochen wird, sind jenes Nagen und die ganze Dramatik, die in solchen Lebenswegen liegt, zu spüren. Erst am Ende des Films ist zu erfahren, ob Chowdhurys Aufenthaltserlaubnis um zwei Jahre verlängert wird oder ob ihn die Behörden zurück nach Bangladesch schicken und damit eine Familie auseinanderreißen. Nicht nur in seinem Fall würde man gerne erfahren, wie das Leben nach all dem weitergeht.

Endlich ankommen

Was heißt eigentlich Integration? Kann man diese überhaupt verordnen? Beyer glaubt an das Prinzip der Freiwilligkeit: „Mit Zwang geht nichts.“ Wann jemand integriert sei, dafür gebe es keinen objektiven Maßstab. „Selbst Menschen, deren Kinder hier zur Schule gehen, erleben täglich Ressentiments“, sagt die 45-Jährige. Integration dürfe nicht mit Anpassung verwechselt werden.

Dennoch konnte die Regisseurin dem Integrationskurs auch Positives abgewinnen. Sie habe beobachtet, dass die Teilnehmer gestärkt aus ihm herausgegangen seien. Selbst dann, wenn sich ihre tatsächlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt kaum verbessert hätten. Das zeigt vor allem das Beispiel von Insaf Azzam. Vor 21 Jahren war sie aus Damaskus nach Berlin gekommen. Jahrelang wurde die Duldung der Familie nur um wenige Monate verlängert. Wenn sie und ihr Mann am Wohnzimmertisch deutsche Vokabeln und Grammatik büffeln, müssen sie sich von ihrer Tochter barsch korrigieren lassen. Mit dem Deutsch-Zertifikat in der Tasche kann Azzam nun die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Und endlich ankommen.


Info: Werden Sie Deutscher (Deutschland 2011), ein Film von Britt Beyer, mit Insaf Azzam, Jorge Prados, Shipon Chowdhury u.a., 84 Minuten.

Ab sofort im Kino


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