Kultur

Sehnsucht ist so grausam

von ohne Autor · 23. Februar 2012

Werdejahre zwischen Traum und Albtraum: Der Dokumentarfilm „Glücksritterinnen“ erzählt von der Flucht vor jenen finsteren Verhältnissen, die der Kreml immer wieder als Schreckgespenst hervorzaubert – und vom schwierigen Dialog zwischen den Generationen.

Russland am Abgrund: Anfang der 90er-Jahre wird aus dem stolzen Sowjetreich ein taumelnder Riese. Regisseurin Katja Fedulova wächst auf in einer Hölle aus Chaos und Gewalt, genannt Sankt Petersburg. Ende des Jahres 1993 wird es ihrer Mutter zu viel: Sie setzt ihre Töchter Olga und Katja, damals 17 Jahre alt, in die Fähre nach Kiel – in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland. Dort treffen sie auf andere junge Frauen aus der untergegangenen UdSSR. Sehnsüchte, Hoffnungen, diffuse Erwartungen: Was bleibt von Ihnen und von einem Leben, mit dem man eigentlich abschließen wollte? Wirft man seine Erziehung einfach weg? 

Darum kreisen die Gespräche, als sich Katja mit Olga und vier weiteren „Glücksritterinnen“ nach 13 Jahren wieder im Kieler Hafen trifft. Aus ihren Selbstverortungen werden Erzählungen, in denen komplett gegensätzliche Lebensentwürfe und emotionale Krisen zum Vorschein kommen: Für diese Achterbahnfahrt gewann Fedulova den „achtung Berlin – new berlin film award 2011“ für den besten Dokumentarfilm. Wegen seiner unaufgeregten, optisch wie erzählerisch kargen Ästhetik erinnert er bisweilen an „Black Box BRD“, das bedeutendste Werk des dramaturgischen Beraters Andres Veiel.  

Nach der Käseglocke  

Immer wieder vergleichen sich die Frauen mit der Lebensleistung ihrer Mütter, auch wenn ihnen klar ist, dass diese sich ihren Weg ins Erwachsenendasein nicht im russischen Brutalo-Kapitalismus, sondern unter Breschnews wesentlich übersichtlicherer Käseglocke bahnen mussten. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Martini-Kränzchen, das sich Fedulovas Mutter in ihre Sankt Petersburger Edel-Platte eingeladen hat. Ein bisschen fühlt man sich dabei an die Erzählungen von Ostdeutschen über die sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche nach der Wiedervereinigung erinnert. Die Dramatik der Gesamtsituation ist freilich eine andere.  

Besonders brüchig wirkt die Fassade der neu gewonnenen Existenz immer dann, wenn sie besonders demonstrativ vorgelebt wird. Das zeigt gerade Olgas Geschichte. In Sankt Petersburg musste sie besonders leidvoll erfahren, was es heißt, als Frau zum Freiwild zu werden. Doch auch im Westen wird sie das Gefühl nicht los, von Männern nur als Lustobjekt betrachtet zu werden.  

„Es war damals nicht einfach, sich treu zu bleiben“, sagt sie. Ist ihr genau das am Ende gelungen? Heute lebt sie mit Mann und Kindern in Italien. Selbstbewusst schiebt Olga die Kinderkarre durch sonnendurchflutete Alleen. Mit ihrer russischen Vergangenheit und all den Verletzungen ist sie fertig. Gleich dem Klischee einer engstirnigen Hausfrau mokiert sie sich über Rumänen und andere Zuwanderer, „die uns Italienern alles wegnehmen“.

Leben ohne Halt  

Alesja ist das andere Extrem: Während Olga wie die personifizierte Unauffälligkeit wirkt, erinnert die leicht verhuschte Alesja eher an Janis Joplin. Nichts und niemand gibt ihr Halt, auch nicht ihre kleine Tochter. Sie wird zur Alkoholikerin, macht einen Entzug. Fast könnte man meinen, sie habe in ihrem neuen Leben nie Tritt gefasst. Doch ebenso wenig kann man sie sich als graue Sozialismus-Maus oder als einer jener perfekt gestylten Business-Frauen im neuen Russland vorstellen, die sie so verabscheut.  

Eine Frau zwischen allen Stühlen – kein Wunder, dass ausgerechnet die Begegnung mit ihrer Mutter den schmerzhaftesten Generationen-Dialog dieses Films bedeutet. Es ist auch die verzweifelte Suche nach Verständnis und Nähe. Das zeigt bereits die Begrüßung am Gleis in Minsk: Während Alesja ihre Mutter umschlungen hält, entgegnet diese: „Versau mir nicht den Pony!“   Die nächste Szene unterstreicht die Entfremdung: Alesja verkriecht sich, die dunklen Locken vor dem Gesicht, in einer Sofaecke. Daneben thront, gleich einer Primaballerina, die ewig jung anmutende Frau Mama und doziert ungerührten Blickes über den Sinn des Lebens.  

Krasse Bekenntnisse   

Was nimmt man mit? Was wirft man weg? Immer wieder schlägt der Film den Bogen zurück zu den Jahren der Jugend, die in den Erzählungen der Mütter und Töchter wie die Reise zu einem fremden Planeten anmuten, selbst man sich der restaurativen Tendenzen im heutigen Russland bewusst ist. Man würde sich wünschen, die Regisseurin wäre in ihren Interviews mehr auf Konfrontationskurs gegangen, um Licht in so manche Lebenslüge zu entlarven oder verborgene Sehnsüchte herauszukitzeln. 

Andererseits ergeben sich einige Pointen gerade dadurch, dass Katja Fedulovas Gesprächspartnerinnen in vertrauter Atmosphäre ungebremst vom Leder ziehen.   Etwa wenn wenn Pädagogin Ilona, genervt von den laxen Umgangsformen an ihrer Schule, die Qualitäten sowjetischer Unterrichtsmethoden beschwört: „Denen müsste man den Hintern versohlen und eine Gehirnwäsche verpassen, erst dann könnte man wirklich mit ihnen arbeiten!“  

Derlei Momente ziehen sich sparsam, aber wirkungsvoll durch einen ruhigen Bewusstseinsstrom aus Gegenüberstellungen und Rückblicken. Umso aufwühlender sind dessen Untiefen.

Weitere Infos: Glücksritterinnen (Deutschland 2011), Regie: Katja Fedulova, Drehbuch: Ulrike Zinke, OmU, 80 Minuten. www.glücksritterinnen.de

Kinostart: 23. Februar

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