Sebastian Krumbiegel: „Die Demokratie ist kein Selbstläufer“
„Wir werden wohl in der Unterzahl sein“, sagt Sebastian Krumbiegel am Telefon. Am Donnerstagabend ist er auf dem Weg nach Döbeln, wo das Bündnis „Döbeln ist bunt“ zu einer Demonstration gegen einen Wahlkampfauftritt des AfD-Politikers Björn Höcke aufgerufen hat. Krumbiegel will sie mit einem Auftritt unterstützen. Im Gepäck hat er auch sein Lied „Die Demokratie ist weiblich“, das am Vortag erschienen ist. Krumbiegels Vorhersage bewahrheitet sich am Ende nicht: Rund 150 AfD-Anhängern stehen gut 300 Gegendemonstranten gegenüber.
Gerade haben Sie Ihr neues Lied „Die Demokratie ist weiblich“ veröffentlicht. Ist es ein verspätetes Geburtstagsständchen zu 70 Jahren Grundgesetz?
So pathetisch würde ich es gar nicht sehen. Mein Vater hat schon vor längerer Zeit zu mir gesagt: „Junge, schreib doch mal ein Lied über die Demokratie.“ Ich dachte lange, dass es nicht geht, einen Popsong, über so ein sperriges Thema zu schreiben. Irgendwann kam mir dann die Idee mit dem Wortspiel der weiblichen Demokratie. Geschrieben habe ich das Lied schon letztes Jahr im Dezember. Danach habe ich einige Freunde gefragt, ob sie im Video mitmachen möchten. Dass es nun so groß geworden ist und so viele mitgemacht haben, freut mich extrem.
Was ist das Besondere an der Demokratie?
Die Demokratie ist kein Selbstläufer. Wir müssen sie täglich pflegen und uns um sie kümmern. Das ist auch eine Botschaft meines Liedes. Leider denken viele, dass das, was einmal erkämpft wurde, Bestand haben wird. Das wird es aber nur, wenn wir es verteidigen. Gerade im Moment merken wir ja, wie zerbrechlich die Demokratie ist – nicht nur in Deutschland.
Im Lied singen Sie, „die Demokratie ist so verletzlich“. Was bedroht sie zurzeit am meisten?
Da kommen verschiedene Dinge zusammen. Es gibt starke Kräfte, die die Demokratie gefährden, etwa ein Donald Trump in Amerika, der sich rassistisch äußert und demokratische Werte aushöhlt oder ein Boris Johnson in Großbritannien oder ein Viktor Orban in Ungarn. Und auch bei uns gibt es mit der AfD eine Partei, deren Vertreter demokratische Grundwerte offen infrage stellen und die bei den anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland stärkste Kraft werden könnte. Es ist deshalb Aufgabe für jeden einzelnen, die Demokratie zu pflegen und diejenigen zu unterstützen, die sie aktiv verteidigen. Gegen die Feinde der Demokratie müssen alle Demokraten zusammenstehen.
In ihrer Heimatstadt Leipzig sind die Menschen wie an vielen Orten in der damaligen DDR vor 30 Jahren für die Demokratie auf die Straße gegangen. Nun wirbt die AfD bei der Landtagswahl mit dem Slogan „Wende 2.0“. Wie fühlen Sie sich dabei?
Das macht mich traurig und wütend. Ich war ja damals in Leipzig selbst mit dabei, wenn auch nicht in der ersten Reihe. Wir sind damals für demokratische Grundwerte und Reformen auf die Straße gegangen. Pegida und die AfD dagegen wollen diese einschränken oder sogar abschaffen und ein anderes System etablieren. Wir wollten Mauern einreißen. Die AfD will neue Grenzen errichten. Kurzum: Sie wollen genau das Gegenteil von dem, wofür die Friedliche Revolution steht. Dass dies in die Tradition von 1989 gestellt wird, ist unsäglich.
2001 haben Sie mit den „Prinzen“ das Lied „Deutschland“ veröffentlicht, das typisch deutsche Eigenschaften ironisch auf die Schippe nimmt. Hätten Sie sich träumen lassen, dass es nun bei AfD-Veranstaltungen gespielt wird?
Uns war schon damals klar, dass unser Lied – bewusst oder unbewusst – missverstanden werden kann. Wenn es Nazis singen, weil sie die Ironie nicht verstehen, zeigt das nur, wes Geistes Kind sie sind. Bei der AfD ist das anders, weil dort intelligente Leute am Werk sind, die genau wissen, was sie tun und unser Lied bewusst einsetzen. Deshalb haben wir uns sofort juristisch gewehrt als wir erfahren haben, dass „Deutschland“ bei AfD-Veranstaltungen gespielt wird. Inzwischen liegt auch eine unterschriebene Unterlassungserklärung vor, dass sie das Lied nicht mehr nutzen. Dass es diese Mittel gibt, ist übrigens auch ein Verdienst der Demokratie.
Zurück zu Ihrem aktuellen Song. Da singen Sie: „Ich will ein Leben lang für diese Dinge geradestehen“, also für das, was die Demokratie ausmacht. Warum fällt dieses Geradestehen offenbar vielen so schwer?
Ich kann nur von mir ausgehen und von dem, was ich mache – was ich übrigens nicht als besonders heldenhaft, sondern eher als normal ansehe. Ich bin ja selbst auf der Suche und habe keine einfachen Antworten auf die komplexen Fragen. Aber ich denke, wenn wir aufeinander zugehen und einander zuhören, dann ist schon eine Menge gewonnen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.