Kultur

Schwarzer ist nicht zeitgemäß

von Marisa Strobel · 12. Oktober 2012

Jeder Mensch ist anders. Warum aber ging der Feminismus in Deutschland lange Zeit nur von einem Frauenbild aus? Dieser Frage ist die Historikerin in ihrem Buch „Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“ nachgegangen. Am vorwärts-Stand sprach sie darüber mit der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan.

Wer in Deutschland über Feminismus redet, der kommt um Alice Schwarzer kaum herum. Und genau diese Tatsache ist es auch, die Autorin und Wissenschaftlerin Miriam Gebhardt am meisten stört. „Durch Schwarzers Medienpräsenz und fehlende Mitstreiterinnen gab es in Deutschland nur noch eine Form, nämlich ihre Form, von Feminismus “, kritisiert Gebhardt. Dabei gebe es die Frauenbewegung in diesem Lande nicht erst seit den 1970er Jahren. „Die Frauenbewegung existiert in Deutschland seit 150 Jahren und schaut auf eine lange, reiche Bewegung zurück“, so die Autorin. In ihrem Buch „Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“ zeigt sie die geschichtliche Entwicklung auf.

Am meisten stört Gebhardt aber die Form von Feminismus, die Schwarzer predigt. „Dieser Feminismus geht von einem Menschenbild aus, das sagt: Ihr Frauen müsst euch ändern. Ich finde das eine Zumutung“, so Gebhardt. Als wären Frauen traditionell in der Opferrolle, aus der sie sich befreien müssten. Denn damit entstünde ein Konflikt, den Schwarzer bis in die Gegenwart transportiert habe. „Ich hoffe aber, dass wir Frauen inzwischen zugestehen, dass sie ambivalent sind. Dass sie sich auch einmal in traditionelle Familienstrukturen zurückziehen dürfen und auf der anderen Seite trotzdem in der Wirtschaft erfolgreich sein können“, so die Feminismus-Forscherin. 

„Zu wenig inklusiv“

Auch Gebhardts Gesprächspartnerin ist kein Schwarzer-Fan, wenngleich sie ihrer Generation angehört. Die Politikwissenschaftlerin und zweifache Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Gesine Schwan, hat sich nie großartig für diese laute Feministin interessiert: „Mir war sie ehrlich gesagt nicht so wichtig“, erzählt sie und begründet: „Damals war Politik für mich nichts Neues, da ich in einem sehr politischen Haushalt aufgewachsen bin. Die Feminismuswelle kam mir dagegen eher kindisch vor.“

Auch inhaltlich kann sie Schwarzers Position nichts abgewinnen, lehnt sie als „zu wenig inklusiv und zu kämpferisch“ ab. „Für mich ist es nicht zukunftsgerichtet zu sagen: Wir müssen die männliche Welt überwinden. Ich finde, wer eine menschliche Welt will, muss die partnerschaftliche anstreben“, so Schwan. Die Politikwissenschaftlerin fordert deshalb einen Bewusstseinswandel. Die Familie dürfe nicht länger eine Frauenfrage sein. „Arbeitgeber müssen bei Männern das gleiche Risiko einer Elternzeit haben wie bei weiblichen Arbeitnehmern. Erst dann wird sich wirklich etwas ändern“, so Schwan.

Antiquiertes Frauenbild

Als problematisch sieht Gebhardt auch das vorherrschende Vorurteil an, dass Intellekt und gutes Aussehen bei Frauen nicht zusammenpassten. „In Deutschland herrscht ein klares Bild, wie intellektuelle Frauen auszusehen haben“, so die Autorin. Im Ausland sei es dagegen häufig selbstverständlich, dass sich Akademikerinnen weiblich kleiden. Schwan stimmt dem zu: „Es herrscht eine lange Tradition des Frauenbildes, dass Frauen in Heilige und Huren einteilt“, so die Politikwissenschafterin. Junge Frauen hätten dieses Bild für sich aber bereits überwunden.

Das eigentliche Problem sieht Schwan deshalb vielmehr in dem noch vorherrschenden Konflikt zwischen Familie und Beruf. „Bei den jungen Frauen ist der Wunsch da, beides miteinander zu verbinden. Aber wenn sie von vornherein davon ausgehen, dass sie eine Karriere mit Kind nicht erreichen können, scheitert die Bewegung“, so die Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance.

Deshalb sei es vor allem in Deutschland noch häufig üblich, dass vor allem Männer Professoren würden, während ihre Frauen meist als Lehrerinnen arbeiteten. In den USA dagegen sei es völlig selbstverständlich, dass beide Partner als Professoren lehrten. Gesine Schwan ist deshalb überzeugt: „Eine Individualisierung in der Frauenbewegung ist auch eine Individualisierung der Gesellschaft."

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Marisa Strobel

ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.

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