Ein voluminöses Standardwerk über den bundesdeutschen Rüstungs- und Waffenhandel hat Jürgen Grässlin, „Deutschlands bekanntester Rüstungsgegner“ (Die Zeit), verfasst. Angela Merkel nennt er in seinem „Schwarzbuch Waffenhandel“ eine „Marketenderin der Todeswaffen“.
Wer über Rüstungsexporte diskutieren, sie reduzieren und stoppen will, der muss die Grundlagen und Zusammenhänge sowie die Akteure des Systems kennen. Genau diese Informationen will das mit Daten, Fakten und Zahlen gespickte „Schwarzbuch Waffenhandel“ liefern. Der Publizist Jürgen Grässlin, Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte, Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller, zählt seit vielen Jahren zu den profiliertesten Rüstungskritikern der Bundesrepublik. 2011 wurde er mit dem „Aachener Friedenspreis“ ausgezeichnet.
Ein „Bombengeschäft“ mit dem Tod
Rüstungsexport sei vielfach Beihilfe zu Massenmord, zum anderen werden mit der Unterstützung des Kriegshandwerks Milliardenbeträge verdient, so Grässlin. Jeden Tag verlieren 2.000 Menschen durch Waffengewalt ihr Leben. Die Bundesrepublik hält Platz drei der Weltwaffenexporteure, die deutschen Rüstungsexporte steigen seit Jahren konstant. Der Waffenhandel läuft dank einer „perfekt organisierten Lobbymaschinerie“ (Grässlin) bestens, 2011 wurde ein Exportvolumen von zehn Milliarden Euro genehmigt. Waffenhandel ist sprichwörtlich ein „Bombengeschäft“.
Tödlichster Teil ist der staatlich genehmigte Waffenhandel mit Staaten die Menschenrechte verletzen und Kriege führen. Allein im Jahr 2011 investierte die Menschheit nach Recherchen von Grässlin 1.738 Milliarden US-Dollar in die Finanzierung von Armeen, in deren Bewaffnung, in die Landesverteidigung und Auslandseinsätze bis hin zu Kriegen. Pro Kopf der Erdbevölkerung sind das nahezu 250 US-Dollar, die zur militärischen Abschreckung, für Waffengewalt, Kriege und Bürgerkriege ausgegeben wurden.
Merkel, die „Marketenderin der Todeswaffen“
Grässlin schreibt, dass in keinem anderen Politikbereich humanistischer Anspruch und tödliche Wirklichkeit weiter auseinander klaffen als beim staatlich legalisierten Waffenhandel. Nicht die Wahrung der Menschenrechte stehe im Mittelpunkt der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung, sondern deutsche Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen. Grässlin dokumentiert anhand zahlreicher Beispiele, dass unter Merkels Ägide die weltweiten Waffenexporte der Bundesrepublik weiter forciert wurden. In den allermeisten Fällen genehmige die Bundesregierung, in den allerseltensten Fällen untersage sie den Waffenhandel, konstatiert der Rüstungsexperte.
Kanzlerin Merkel verantworte milliardenschwere Waffendeals mit diktatorischen Regimen und repressiven islamischen Machthabern. Merkel sei deshalb eine „Marketenderin der Todeswaffen“, Rüstungsexporte werden im Kanzleramt maßgeblich unter monetären Gesichtspunkten gesehen, konstatiert Grässlin. Als eigentlichen Skandal wertet Grässlin die Legalität und damit die Akzeptanz moralisch verwerflichen Handels.
Das „Schwarzbuch Waffenhandel“ nennt die Verantwortlichen des Waffenhandels beim Namen. In 20 Täterprofilen wird die Verstrickung von Rüstungsmanagern und Politikern in Waffengeschäfte bzw. deren Genehmigung differenziert aufgezeigt. Die Top Ten der Täter in der Politik schont keine der fünf in wechselnden Koalitionen amtierenden Regierungsparteien. Alle haben sich mit ihrer Politik der Unterstützung oder der Genehmigung grenzenlosen Waffenhandels mitschuldig gemacht am legalen Export und damit am Einsatz deutscher Waffen in Kriegen und Bürgerkriegen in aller Welt. Ebenso wenig schont das Buch die Top Ten der Täter in der Rüstungsindustrie die Waffenhändler in den Chefetagen rüstungsproduzierender und -exportierender Unternehmen.
Europas tödlichstes Unternehmen sitzt am Neckar
Als „Europas tödlichstes Unternehmen“ stuft Grässlin das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch im württembergischen Oberndorf am Neckar ein. Weltweit sind 15 Millionen seiner Waffen im Umlauf und eine entsprechend höhere Zahl von Opfern zu beklagen. Das ergibt für die letzten 50 Jahre laut Grässlin durchschnittlich 114 Heckler & Koch-Opfer pro Tag. Das sind in etwa so viele Tote wie beim vielbeachteten Massaker im afghanischen Kunduz. Die wenigsten Opfer gibt es in Europa, die meisten auf den Schlachtfeldern in Afrika, Lateinamerika und Asien – weit weg von unserem Kontinent und damit vergleichsweise leicht zu ignorieren, wie Grässlin anmerkt.
Zu den „renommiertesten Gegnern einer ungezügelten Rüstungsexportpolitik“ zählt Grässlin Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Der erklärte Ende 2012, dass die Bundesrepublik als drittgrößter Waffenexporteur nach den USA und Russland zur „Nichtfriedfertigkeit“ in der ganzen Welt beitrage. Der SPD gab er mit auf den Weg, dass das Thema Rüstungsexporte eine Rolle im Bundestagswahlkampf spielen sollte. „Ich würde, wenn ich Wahlkämpfer wäre, dieses Thema nicht aussparen“, so Schmidt.
Fakt ist, dass die SPD für eine restriktivere Rüstungsexportpolitik, die Schaffung eines parlamentarischen Kontrollgremiums und die regelmäßige Überprüfung von Rüstungsexporten in den Empfängerländern eintritt. „Wie viele Menschen in Zukunft durch deutsche Waffen sterben, entscheidet der Wähler“, so Klaus Barthel, Experte für Rüstungspolitik und Berichterstatter für Rüstungsexporte der SPD-Bundestagsfraktion.
Grässlin, Jürgen: „Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient“, Heyne Verlag, München 2013, 624 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 978-3-453-60237-3