Denn der Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach erzählt in seinen elf Kurzgeschichten nicht nur von grausamen Taten. Kühl, fast protokollarisch schildert er stets auch die
Vorgeschichte der Verbrechen und lässt seinen Ich-Erzähler - Strafverteidiger wie er selbst - umsichtig die Motive der Kriminellen erforschen. Dabei gelingen ihm nicht nur einige glänzende
Milieuschilderungen. Es zeigt sich vor allem, dass die Täter ganz menschliche Gründe haben. Die tote Ingrid hat ihren Mann jahrelang gequält und beleidigt, sein friedliches Leben in ewige
Finsternis verwandelt. Sie wusste, wie ernst er sein Eheversprechen nahm: Nur der Tod konnte ihn von Ingrid scheiden. Diese unerschütterliche Treue macht ihn zu einer zutiefst rührenden Figur.
Viele der Fälle, von denen der 1964 in München geborene Enkel von Hitlers "Reichsjugendführer"
Baldur von Schirach in seinem Prosadebüt erzählt, dürften ihn so oder ähnlich in seiner eigenen Berliner Kanzlei beschäftigen. In seinem Buch schreibt er: "Unser Strafrecht ist
Schuldstrafrecht. Wir strafen nach der Schuld eines Menschen, wir fragen, in welchem Maß wir ihn für seine Handlungen verantwortlich machen können. Das ist kompliziert." Diese Kompliziertheit
gipfelt immer in einer unerwarteten Pointe, die uns vor Augen führt, dass das Böse im Leben jedes Menschen möglich ist. Das ist mehr als gute Unterhaltung. Das ist sogar besser als "Tatort".
Ferdinand von Schirach: Verbrechen, Piper Verlag 2009, 208 Seiten, ISBN: 9783492053624, 16,95 EUR