Kultur

Schreiben ist mein Beruf

von Edda Neumann · 23. Oktober 2009
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Robert Merle hat wie kaum ein anderer die Erschütterungen seiner Zeit in anspruchsvolle wie unterhaltsame Literatur übersetzt: die Gräuel des Zweiten Weltkrieges, die Bedrohung der atomaren Aufrüstung, die Suche nach einer gesellschaftlichen Umsetzung der Ideale von Freiheit und Gleichheit. Er engagierte sich im Öffentlichen, gab sich jedoch im Privaten unpolitisch. Da war Robert Merle ein Lebemann: Er liebte teure Autos, Landsitze, teure Kleidung und vor allem Frauen. Mit Auskünften über seine Privatsphäre ging Merle zu Lebzeiten äußerst sparsam um. Allerdings hat er sie sorgfältig dokumentiert, was seinem Sohn und Biografen zu Gute kam.

Ein verführerisches Leben

Robert Merles Leben umfasst nicht nur vier Ehen, sechs Kinder, ein breites literarisches und publizistisches Oeuvre und eine Universitätskarriere als Englisch-Professor, sondern auch alle Stationen des 20. Jahrhunderts. 1908 wird er als jüngstes von drei Kindern im algerischen Tébessa geboren. Sein erstes Trauma erlebt er 1915, als ein Vater während des Ersten Weltkrieges infolge einer Typhuserkrankung stirbt. Zehn Jahre danach erliegt Merles 18jährige Schwester einer schweren Angina, 1933 stirbt auch der Bruder. Die Familie schrumpft auf die Zweisamkeit von Merle und seiner Mutter. Er arbeitet als Lehrer, geht für ein Jahr in die USA und schreibt dann eine Dissertation über Oscar Wilde.

Der Zweite Weltkrieg unterbricht Merles Universitätskarriere: Er gehört 1940 zu den Eingekesselten bei Dünkirchen und gerät in deutsche Gefangenschaft. Der Krieg liefert Merle die Folie für seine ersten Romane "Wochenende in Zuidcoote" (1949) und "Der Tod ist mein Beruf" (1952). Die Erfahrung des Eingeschlossenseins und des Arrangements in kleinen Gemeinschaften während der Gefangenschaft wird immer wieder Thema in seinem Werk sein, wie beispielsweise in "Malevil" (1972) oder "Madrapour" (1976). Daneben schreibt Merle äußerst populäre politisch-utopische Warnfiktionen "Ein vernunftbegabtes Tier" (1967) oder die Feminismus-Parodie "Die geschützten Männer" (1974). Das politische Engagement Merles hat seiner Schriftstellerei nicht geschadet. 1974 wird er Mitglied der Kommunistischen Partei. Seine Genossen nennen ihn " Roter Schlossherr". Aufgrund des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan tritt er jedoch 1979 wieder aus.

Als Englisch-Professor gerät Merle 1968 ins Kreuzfeuer der Studentenproteste. Er lässt sich beurlauben, um sich der Literatur zu widmen. In dieser Zeit entsteht sein 68er-Roman "Hinter Glas" (1970). Dass Merle später um Wiederaufnahme an der Fakultät bittet, hat weniger intellektuelle als erotische Gründe: Er war es gewohnt, seine wesentlich jüngeren Ehefrauen und Geliebten aus der Studentenschaft zu rekrutieren.

Bis zu seinem Tod im März 2004 in Paris spricht Merle unbeirrt Geschichten aufs Band. Schlussendlich war es die unendliche historische Saga "La Fortune de France", die 13 Bände lang von der Familie Siorac im 16. und 17. Jahrhundert erzählt.

Die Sicht des Sohnes

Mit dem Schreiben hat Robert Merle viel Zeit verbracht. Wie sein Sohn diese Konkurrenz zum Werk des Vaters erlebte, darüber erfährt der Leser leider nichts. Pierre Merle, ist Soziologe an der Université de Bretagne Occidentale und Sohn aus zweiter Ehe. Für seine Recherchen hatte er Zugang zu Quellen, die jedem anderem verwährt geblieben wären: private Briefe, Artikel, Interviews und insbesondere persönliche Erinnerungen. Er hat diese umfangreiche Korrespondenz ebenso studiert wie das Gesamtwerk seines Vaters.

Offenbar ist es Pierre Merle nicht leicht gefallen, eine durchgängige Erzählhaltung zu finden. Oftmals verharrt er in respektvoller Distanz und versteckt sich hinter Daten und Fakten. Er charakterisiert den Vater so, wie dieser es selbst getan hat: mit Hilfe von Roman-Protagonisten, auf deren autobiografische Züge er immer wieder hinwies. Pierre Merle stellt die Bezüge zwischen den Figuren und ihrem Erfinder her - setzt dabei jedoch manchmal etwas zu genaue Kenntnisse der Bücher voraus.

Pierre Merle ist dennoch ein einfühlsames Bild der faszinierenden Schriftsteller-Persönlichkeit seines Vaters gelungen. Robert Merles Schaffen umfasst mehr als 20 literarische Werke, die heute als zeitgenössische historische Romane gelesen werden können. Zu deren Lektüre bietet diese Biografie eine einladende Ergänzung.


Pierre Merle: Robert Merle. Ein verführerisches Leben. Biographie, Aufbau Verlag 2009, 432 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3351027001

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