Kultur

„Schrankenlose Freiheit für HH!“

von Die Redaktion · 26. April 2007
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1915 lernt die Kunstgewerbeschülerin Hannah Höch den Künstler Raoul Hausmann kennen. Die Liebesbeziehung, die sich zwischen Höch und dem verheirateten Hausmann entwickelt, ist so intensiv wie tragisch. Künstlerisch ist diese Beziehung aber ein entscheidender Ausgangspunkt. Hausmann führt sie in die Berliner Kunstszene, in den Kreis der Dadaisten ein.

Die antibürgerliche Kunstbewegung Dada entsteht als Reaktion auf Wahnsinn und Schrecken des technisierten Mordens im ersten Weltkrieg. Zwischen 1918 und 1922 läuft die Bewegung Sturm auf Politik und Gesellschaft und greift dazu zum Teil auch zu völlig neuen Ausdrucksmitteln. Hannah Höch entwickelt, zusammen mit Raoul Hausmann, 1918 die Fotomontage. Basis dafür ist die Medienflut der Zwanziger Jahre. Zeitungen und Magazine liefern reichlich fotografische Reproduktionen. Zerschnitten und zu Klebebildern neu zusammengefügt sind sie ein Affront, ein Angriff auf den Kunstbegriff der Zeit.

Mit großer Ironie kommentiert und entlarvt Hannah Höch in ihren - häufig grotesken - Collagen die gesellschaftlichen und politischen Missstände der Weimarer Republik. Höch ist die einzige Frau die Teil der Berliner Dada-Bewegung ist. Darüber hinaus entwickelt sie eine große künstlerische Freiheit und Selbstständigkeit: "Ich habe alles gemacht und mich um Handschrift und Merkmal nie gekümmert", sagt sie. "Schrankenlose Freiheit für HH" heißt es in ihrer Arbeit "Dada-Rundschau" von 1919. Dada ist die Keimzelle ihres Werkes, das aber weit darüber hinausgeht.

Die Collage wird Höchs ureigenes Stilmittel bleiben, sich durch all ihre Schaffensperioden ziehen. Aber auch andere Techniken - Malerei, Aquarell Druckgraphik und Zeichnung - verwendet sie. Ihre Arbeiten sind stets aktuell, entwickeln sich ständig weiter und sind immer eigenständig. Die Reduzierung auf Dada lehnt sie ab: "Dada hängt mir zum Hals raus; langsam ist das doch abgedroschen", sagt die Künstlerin 1976, zwei Jahre vor ihrem Tod.

"Aller Anfang ist Dada!" - Die Schau der Berlinischen Galerie

Große, internationale Retrospektiven würdigten in den letzten Jahren Hannah Höchs Werk. Jetzt widmet die Berlinische Galerie ihr die erste Ausstellung in ihrer Heimatstadt seit 1989. Sie präsentiert 160 Arbeiten aus allen Werkphasen Höchs. Die Schau zeigt Dada als ihren künstlerischen Beginn und Hintergrund, und ermöglicht davon ausgehend einen breiten Blick auf ihr Werk.

In vier Kapiteln arrangiert die Berlinische Galerie Höchs Werk. Bilder aus unterschiedlichen Schaffensperioden hängen nebeneinander und zeigen, dass es zentrale Themen gibt, die Höchs Werk wie ein roter Faden durchziehen.

"Frauenbilder - Männermythen" ist einer dieser Themenkreise. Höch, in der Moderedaktion des Ullstein Verlages tätig, entlarvt die mediale Darstellung der unabhängigen "neuen Frau" der Zwanziger als bloßes Konstrukt, als Wunschbild. Ihre Arbeiten zeigen die Kluft zwischen Vorstellung und Realität der Weimarer Republik. Sie machen aufmerksam auf die längst nicht überkommenen Geschlechterstereotype. Auch privat lernt Höch die verlogene Seite des Bildes der selbstständigen, befreiten Frau kennen. Ihr Liebhaber Hausmann, selbst verheiratet, arbeitet verbissen daran, Höch von ihrem bürgerlichen Moralballast, der Vorstellung von einer Ehe, zu befreien - was für ihn die Zustimmung seiner Geliebten zu der ersehnten "Ménage a trois" bedeutet.

Surreale Traumwelten und die poetischen Facetten der Künstlerin zeigt der Schwerpunkt "Traum- und Gegenwelten". Als Gegensatz dazu ist ihre "Dunkle Seite" zu sehen, unheimliche, düstere Bilder. Geprägt von einem Gefühl des existenziellen Ausgeliefertseins, der Beschäftigung mit dem Okkultismus und vom Tod. Auch die Schrecken der Nazi-Herrschaft verarbeitet Höch in dunklen, verzweifelten Bildern. Als "Kulturbolschewistin" verfemt und mit Ausstellungsverbot belegt, zieht Höch sich während dieser Zeit in eine "inneren Emigration", in ein Haus in Berlin-Heiligensee, zurück. Dort versteckt sie auch Bilder ihrer Künstlerfreunde, die die Nazis zur Flucht zwangen.

Farben und Formen dominieren die Bilder, die unter dem Titel "Abstraktion-Expression" versammelt sind. Sie sind jenseits aller Gegenständlichkeit, sind kraftvoll und dynamisch. Besonders die farbigen Illustrierten der Wirtschafswunderjahre liefern Höch neues Material, das sie mit Schere und Klebstoff bearbeitet.

Die private Seite der Künstlerin wird in mehreren Schaukästen sichtbar, verstellt aber nie den Blick auf ihr Werk. Bücher und Arbeitsutensilien, Fotos und Briefe zeichnen ein persönliches Bild der Künstlerin. Ihr völlig zerfleddertes, mit unendlich vielen Notizzetteln erweitertes, Adressbuch zeugt von zahlreichen Künstlerfreunden und Weggefährten, darunter etwa Hans Arp und Kurt Schwitters. Der Ausschnitt ist breit: Ein Scherenschnitt ihres Geliebten Raoul Hausmann ist ebenso zu sehen, wie der Kalender, in dem sie die Eindrücke der Nazi-Schau "Entartete Kunst", in der sie auch ihre Werke findet, notierte.

Birgit Güll

Hannah Höch. Aller Anfang ist Dada! Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, bis 2. Juli, täglich außer Dienstag von 10-18 Uhr

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