Was treibt die Macht mit denen, die sie ausüben oder nach ihr streben? Und was heißt es, davon zu lassen? In „Viva la Liberta“ wagt Regisseur Roberto Andò einen philosophisch-komödiantischen Blick ins Innere des Politikbetriebs.
Mit dem so smarten wie populistischen Regierungschef Matteo Renzi beschwört Italiens Polit-Establishment einen Neuanfang. Wieder einmal. Und wieder einmal zeigt sich überdeutlich, dass diesem Land ein Potenzial für teils groteske, politische Dramen innewohnt, das seinesgleichen in der europäischen Union sucht. Immer dann, wenn einem eben das als Klischee erscheint, belehrt einen die Realität eines Besseren. Angesichts all der Ränkeschmiede, die unwillkürlich das Kopfkino in Gang setzen, grenzt es an ein Wunder, dass sich dieser Stoff vergleichsweise selten im Kino wiederfindet.
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Grotesk und nachdenklich
Andò hat sich für seine Satire „Viva la Libertà“ (deutsch: Es lebe die Freiheit) kräftig an den Krisensymptomen seines Landes bedient. In der Geschichte eines frustrierten und glücklosen Oppositionsführers, der seinem Leben urplötzlich entflieht und unerwarteterweise von einem Doppelgänger mehr als nur vertreten wird, mischen sich grotesk anmutende und nachdenklich stimmende Sequenzen. Also in etwa jene sinnliche Erfahrungen, die politisch Interessierte teilen, wenn sie auf diese Gründungsnation der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft blicken.
Mitten im Wahlkampf würde Enrico Oliveri (Toni Servillo), der Chef der wichtigsten Oppositionspartei, am liebsten alles hinschmeißen. Nicht nur seine Umfragewerte sind eine einzige Katastrophe. Oliveri zieht die Notbremse und ist dann einfach mal weg aus Rom: Den so akkurat und penibel auftretenden Herrn zieht es zu seiner früheren Geliebten (Valeria Bruni Tedeschi) nach Paris. Dort will er es endlich wieder spüren: das wahre Leben, das ihm unter der Käseglocke der Politik abhanden gekommen ist. Seinen wirklichen Leidenschaften nachgehen und sich nicht mehr verstellen. Somit wartet an der Seine keine Affäre mit Danielle, sondern mit sich und seinen vergessenen Sehnsüchten.
Seine Partei steht Kopf. Besser gesagt: Weil sie ohne ihren spurlos verschwundenen Chef ziemlich kopflos ist, droht das Chaos. Und das mitten in der Kampagne gegen die Regierung. Die Lücke muss gefüllt werden, und zwar möglichst schnell. Oliveris engster Mitarbeiter Andrea Bottini erinnert sich an dessen Zwillingsbruder Giovanni. Nach einem längeren Aufenthalt in der Psychiatrie lebt der Philosoph in einer schäbigen Vorstadt. Er ist also im mehrfachen Sinne außen vor: Das macht ihn in Bottinis Augen zum idealen Doppelgänger.
Neue Zuversicht
Doch die Dinge geraten außer Kontrolle, wenn auch im positiven Sinne. Dem eloquenten Intellektuellen gelingt es bei öffentlichen Auftritten nicht nur potenzielle Wähler, sondern auch seine Parteigenossen mitzureißen und den Glauben an die Politik zurückzugeben. Giovanni und Bottini scheinen sich zu fragen: Sollte nicht am besten alles so bleiben wie es ist?
Die Versuchung, bei der Verfilmung seines Romans alle Register des Komödiantischen, wenn nicht gar des Zynischen, zu ziehen, dürfte für Andò groß gewesen sein. Stattdessen erzählt „Viva la Libertà“ in fast märchenhafter Naivität davon, wie ein Sonderling seine Umgebung den Sinn, aber auch die Gefahren ihres Tuns und Trachtens neu entdecken lässt. Dem Filmemacher geht es um keinen Abgesang auf Italiens Politszene: Vielmehr will er, wie er sagt, zeigen, dass Politik immer noch das beste Instrument sei, dass der Mensch erfunden hat, „um das Leben zu verbessern und lebenswert zu machen“.
Andò gelingt ein stimmiger Spagat zwischen Komik und Melancholie: Schließlich gehen die ungeahnten Möglichkeiten, seine geschliffene Rhetorik vor und für die Massen einzusetzen, auch an Giovanni nicht spurlos vorbei. Enrico wiederum muss sich entscheiden, ob er in sein altes Leben zurück will, das ihn, wie nach Andòs Auffassung, wieder zwingen wird, etwas anderes zu sein, als er ist. Wissen die Brüder am Ende überhaupt noch, in welches Leben sie wirklich gehören?
Dass diese moralisch reichlich aufgeladene Geschichte niemals ihre Leichtigkeit verliert, ist nicht zuletzt Hauptdarsteller Toni Servillo zu verdanken, der bereits den Polit-Paten Giulio Andreotti in „ll Divo“ kongenial verkörperte und im vergangenen Jahr für die Rolle eines alternden Journalisten in „La Grande Belezza“ („Die große Schönheit“) mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Gerade weil er als Enrico/Giovanni so zurückgenommen agiert, kommt seine komödiantische Kunst besonders gut zur Geltung: Mal äußert sie sich in verzückter Mimik, mal in einem ausladenden Schritt. Manchmal erinnert er dabei an die melancholisch-stoische Komiker-Ikone Buster Keaton. Wenn Andòs Film nach den philosophischen und menschlichen Facetten politischer Macht fragt, ist Servillo in seiner Doppelrolle dafür das ideale Medium.
Info: Viva la Libertà (Italien 2013), ein Film von Roberto Andò, mit Toni Servilllo, Valeria Bruni Tedeschi, Valerio Mastandrea, Anna Bonaiuto u. a., 94 Minuten. Ab sofort im Kino