Rot der Sand, grün die Bäume, blau der Himmel: Zwei Jahre radelt Joachim Held quer durch Afrika. Der Journalist und Buchautor legt mehr als 33 000 Kilometer zurück. Mit all den durchlebten Höhen und Tiefen zeichnet er ein faszinierendes Bild voller Sympathie und Widersprüchlichkeit.
„Sich zu irren, ist in Afrika das vielleicht einzig Normale – und etwas wunderbar Aufregendes.“ So lautet Joachim Helds Fazit nach seiner langen Tour über den schwarzen Kontinent. Und er irrt sich oft: was die Qualität von Straßen betrifft, die Zeit, die er für bestimmte Strecken oder die Geldsumme, die er für Visa an den Grenzen veranschlagt.
Beinahe nie irrt er sich in den Menschen, auf die er trifft. Stets sind sie bereit ihm zu helfen – ob es um eine Unterkunft, um Verpflegung oder Ersatzteile fürs Fahrrad geht. Und immer wieder faszinieren Held ihre Nachdenklichkeit, ihre Herzlichkeit und ihr offenes Lachen: wie sie allen Widrigkeiten und ihrer Armut zum Trotz „durchs Leben tanzen“.
Der Abenteurer
Es mutet schon abenteuerlich an, sich in Deutschland ein Fahrrad zu schnappen, gut 45 Kilogramm Gepäck aufzuladen und gen Afrika zu starten. Joachim Held tut genau das am 6. August 2008. Zwei Jahre werden vergehen, bis er heimkehrt. Nicht weil er es so plante, er hat ja noch nicht einmal ein konkretes Ziel auf dem Kontinent. Nein: „Afrika wollte es so.“
Held strampelt durch Deutschland, um körperlich wieder fit zu werden, frischt seine Sprach-Kenntnisse in Frankreich auf, um schließlich im Hafen von Algeciras (Spanien) ein Schiff nach Tanger (Marokko) zu nehmen. Hier beginnt seine Afrika-Tour.
Der Empfang ist ernüchternd. Schreiende Kinder bewerfen ihn mit Steinen. „Donnez-moi“ – „Gib mir!“. Später wird „Money, Sir“ daraus. Held lernt, damit umzugehen, genauso wie mit dem Aufruhr, den er überall versursacht, wo er auftaucht. Ein weißer Reisender macht neugierig. Doch gerade die ungestüme Offenheit reizt ihn. Wenn ihm allerdings nach der Frage nach dem Woher und Wohin wieder einmal ein blutjunges Mädchen einen Heiratsantrag macht, sucht er schnell das Weite.
Nicht entkommen kann Held den Grenzsoldaten und den Beamten der Migrationsbehörde. Da heißt es Verhandeln, wenn sie überhöhte Forderungen für Visa, fürs Fotografieren oder einfach Wegezoll verlangen. Und so manches Mal siegt das Überraschungsmoment: Er verlangt den Ausweis der Beamten zu sehen, der sie berechtigt so viel Geld zu verlangen, oder kontert schlicht, er könne nicht „ganz Afrika finanzieren“.
Joachim Held durchstreift die Westsahara, Westafrika. In Guinea gerät er in die Wirren eines Putsches, wird in Sierra Leone für einen Diamantenhändler gehalten. In Kamerun wird ihm eine Begegnung mit dem Tod prophezeit. Er kämpft sich durch den Kongo bis hinunter nach Kapstadt und besteigt auf dem Rückweg den höchsten afrikanischen Gipfel Kilimandjaro. Wird er sich auch seinen Wunsch erfüllen, mit einem Boot über den Kongo nach Kisangani zu tuckern und das Nomaden-Mädchen Mukarinda wiederzusehen, das er während einer früheren Reise kennenlernte?
Der Geschichtenerzähler
Eins ums andere Mal kommt Joachim Held an seine physischen und psychischen Grenzen. Es ereilt ihn der Afrikakoller: „das Ergebnis körperlicher Anstrengung, emotionaler Überforderung, fehlender Geduld und mangelhafter Empathie“. Doch sein Herz brennt weiter für Afrika, „wie der Abendhimmel über dem Kongo“.
Überaus spannend, sehr emotional und durchaus auch humorvoll berichtet der Autor von seinen Begegnungen mit Afrika. Und ganz nebenbei erfährt der Leser jede Menge Wissenswertes über die Länder, die er durchradelt, und über die Menschen, die er trifft: wie hoch die Berge sind und wie lang die Flüsse, wie viele Menschen in welchem Land leben und wovon, wie die politischen Verhältnisse sind. Natürlich, hier ist ein Journalist auf Reisen!
Joachim Held erzählt auch die Geschichte vom weißen Gold – dem Salz, das einst im sagenumwobenen Timbuktu gehandelt wurde, und die vom ganz gegenwärtigen Fluch des schwarzen Goldes – des Erdöls in Nigeria. Er macht plausibel, warum der Fluss Niger ein Abenteurer und der Dschungel im Kongo grünes Paradies und grüne Hölle zugleich ist.
Kritisch setzt sich Held mit dem allgegenwärtigen Bakschisch-System auseinander, das auch den Afrikanern stinkt und das „keineswegs systemimmanent“ ist. Und er stellt klar, dass die Finanzhilfe aus dem Westen die Korruption und Anhängigkeit weiter befördert. Wirkliche Entwicklungshilfe sollte anders aussehen! Ganz besonders in Südafrika wird ihm die Kluft zwischen Schwarz und Weiß überdeutlich. Sie ist „wie ein unumstößlicher Fakt, und wer auch immer eine Brücke bauen will, müsste ein verflixt guter Architekt sein“.
In Westafrika sitzt der Radler abends am Feuer mit den Dorfältesten zusammen. Sie stellen Fragen, die er nicht beantworten kann: „Warum ist Europa so reich – und Afrika so arm? Was sollen wir tun? Sag Du es uns, Du kommst doch aus Europa.“
Der Träumer
Held wünscht den Menschen in Afrika nichts mehr als eine bessere Zukunft, ein Miteinander mit dem Rest der Welt auf Augenhöhe – ohne dabei alle Traditionen über Bord zu werfen. Längst würden z. B. Handys die Buschtrommeln ablösen. „Die Mobilfunkunternehmen haben Afrika fest in der Hand“, bedauert Joachim Held. Doch er sieht auch die Chancen: „Die Welt rückt enger zusammen, Informationen gelangen schneller von A nach B, es kommt zu mehr Kommunikation und Transparenz und vielleicht auch zu besserem Verstehen und voneinander Lernen.“
Womöglich gäbe es irgendwann „kein Halten mehr und mit dem Handy fließen plötzlich auch Investitionen nach Afrika zum Wohle aller, in einem auf Ausgleich orientierten Wirtschafts- und Sozialsystem.“ Noch klingt das wie ein Traum – und Afrika ist weit davon entfernt.
Doch träumen ist erlaubt. Helds schönste Vision: „Afrika, der schlafende Riese erwacht! Und wer ihm jemals wieder einen Bonbon anbieten will, den lacht er aus!“
„Was für eine wunderbare Reise, das Leben“ philosophiert der Autor, als er am Ende seiner Kräfte und seiner Reise glücklich den Kilimandjaro erklommen hat.
Was für ein wunderbares Buch, Afrika!
Joachim Held: Afrika. Mit dem Fahrrad in eine andere Welt, Reise Know-How Verlag, Markgröningen 2012,383 Seiten, 19,50 Euro, ISBN 978-3-89662-522-9