Ein Leben wie im Thriller: Der Künstler Mark Lombardi machte das Schattenreich aus Wirtschaft und Geheimdiplomatie sichtbar. Kurz vor seinem Durchbruch stirbt er eines mysteriösen Todes. Die Dokumentarfilmerin Mareike Wegener hat aus diesem Stoff ein unaufgeregtes, aber eindringliches Künstlerporträt geschaffen.
1979: Der spätere US-Präsident George W. Bush gründet seine erste Ölfiirma. Das schwarze Gold trägt ihn in bis Weiße Haus. Im gleichen Jahr beginnt Mark Lombardi eine Obsession zu Papier zu bringen, die ihn nie mehr loslassen wird: das weltumspannende Geflecht aus Geld und Macht. Lombardi war nicht nur Bush auf der Spur: Was er an öffentlichen Quellen über den Sumpf aus Politik und Wirtschaft sammelte, dampfte der New Yorker Künstler zu rund 50 000 Einträgen auf 14 000 Karten ein. „An seinem Interesse für die Information an sich erkennt man den Konzeptkünstler, aber in vielfacher Weise war er ein investigativer Journalist“, schrieb die „New York Times“ in einem Nachruf.
Info-Junkie am Zeichenbrett
Was ist das für ein Mensch, der seine Wohnung mit Büchern und Zeitungsartikeln über die dunkle Seite der Globalisierung vollstopft und aus seinen Erkenntnissen Strukturen in der Größe eines Gemäldes entwirft? Die 29-jährige Filmemacherin lässt Wegbegleiter sprechen: Ein Info-Junkie sei er gewesen. Ein Nerd, der sich entweder völlig zurückzog oder mit stundenlangen Beschreibungen seiner Gedankenwelt nervte.
Am stärksten ist „Mark Lombardi“ immer dann, wenn es um die Beziehung zwischen Werk und Künstler geht. Wenn nachzuvollziehen ist, wie der 1951 Geborene sein Wissen zu Soziogrammen aus roten und schwarzen Linien und Pfeilen verdichtete. Von Weitem wirken sie wie eine Wolke. Bei näherer Betrachtung ähneln die knäuelartigen Gebilde der Geometrie eines Ameisenhaufens: ebenso rational und streng wie unübersichtlich. Mittendrin hängen Regierungen, Unternehmen und politische Gruppierungen wie die Spinne im Netz. Erstaunlich, dass Lombardi nie den Überblick verlor.
Gefährliche Kritik
Vielleicht liegt es daran, dass er ergebnisoffen und ohne bestimmte Hypothese vorging. „Marks Arbeiten warfen mehr Fragen auf als sie beantworten konnten“, sagt ein Freund. Jeder weiß, dass gerade das einen kritischen Künstler gefährlich macht – und damit angreifbar.
Lombardis „narrative Strukturen“ sind indes weniger eine Anklage als eine Stoffsammlung, die sich aus sich selbst heraus erklärt: Erst im organisierten Zusammenhang wird die einzelne Information bedeutend: als Puzzlestück eines „Porträts der Welt“, wie es im Film strukturalistisch heißt.
Als Lombardis Meisterwerk gilt seine opulente Darstellung von den Aktivitäten der Bank of Credit and Commerce International (BCCI). Anfang der 1990er-Jahre stand das pakistanische Geldinstitut am Pranger, weil es unter anderem Terroristen unterstützte und in Atomschmuggel verwickelt war.
Obwohl sich Wegener einer recht abstrakten Materie gestellt hat, ist ihr ein einfühlsamer Dokumentarfilm gelungen, der einen außergewöhnlichen Menschen über seine Kunst erschließt. Einige Charakterzüge dieses manisch Suchenden deuten sich in den Erzählungen über seine Methodik an, in einigen Szenen sehen wir ihn sogar bei der Arbeit. Der „private“ Mark Lombardi ist dahinter allerdings nur zu erahnen.
Anspruch und Wirklichkeit
Weitgehend uneingelöst bleibt Wegeners Anspruch, die visuelle Ästhetik eines Politthrillers umgesetzt zu haben. Meinte sie damit die Kamerafahrten durch Manhattans Straßenschluchten? Oder den Eindruck, einer groß angelegten Verschwörung auf die Spur zu kommen, die für den Protagonisten tragisch endet?
Zweifellos bietet Lombardis Leben Stoff für jenes Genre. Wegener lässt es allerdings aus der Perspektive von Freunden, Galeristen und Hinterbliebenen Revue passieren. Der überwiegend wohlwollende Duktus der Erinnerungsberichte deckt sich mit der wohligen Atmosphäre von Bars und Galerien, in denen sie vorgetragen werden. Diejenigen, die er im Visier hatte, kommen leider nicht zu Wort.
Gleichzeitig wird die Wucht der Bedrohung und der Last, die sich dieser Einzelgänger aufbürdete, immer erdrückender. Gerade der Film hinter dem Film macht diese knapp 80 Minuten so fesselnd.
Ungutes Gefühl bleibt
Erst recht, wenn man das Ende dieser Geschichte kennt – oder zu kennen glaubt. Im Jahr 2000 wurden große New Yorker Galerien und Museen auf Lombardis Werke aufmerksam. Kurz vor der Ausstellungseröffnung im Museum PS 1 wurde das besagte Opus über BCCI von einer defekten Sprinkleranlage zerstört.
Tag und Nacht arbeitete Lombardi daran, es wiederherzustellen. Drei Wochen nach dem Zwischenfall wurde er erhängt in seiner Wohnung gefunden. Die Polizei sprach von Selbstmord. Seine Nächsten von Mord. Heute ist bekannt, dass er Drohanrufe bekam und vom FBI überwacht wurde. Das nutzte nach dem 11. September seine Werke, um Osama Bin Ladens Finanzquellen auf die Schliche zu kommen.
Meike Wegeners Film ist kein Soziogramm, das Licht in dieses Dunkel bringen könnte. Wohl aber bleibt ein beunruhigendes Gefühl zurück – und das spricht für sich.
Info: „Mark Lombardi – Kunst und Konspiration“ (D 2012), ein Film von Mareike Wegener, 79 Minuten, OmU. www.realfictionfilme.de. Ab sofort im Kino.