Satire-Kollektiv „Datteltäter“: Humorvoll gegen Intoleranz
„Mir hat tatsächlich schon einmal jemand in der Uni-Bibliothek vorgeworfen, ich würde mit dem IS sympathisieren“, sagt Nemi und zupft ihr Kopftuch zurecht. Als ob das eine logische Gleichung sei: Kopftuch gleich radikale Muslima gleich IS-Anhängerin. Younes und Marcel schütteln ungläubig die Köpfe.
Morden im Namen Allahs
Ein Donnerstagabend im Bergmann-Kiez in Berlin-Kreuzberg. Die Sonne scheint, die Stühle vor den Cafés sind bis auf den letzten Platz besetzt. Marcel (25) trinkt Cola, Nemi (21) und Younes (30) verzichten – schließlich ist Ramadan. Vor dem Treffen hat Nemi noch schnell Geschenke für das Zuckerfest besorgt, welches im Anschluss an den Fastenmonat stattfindet: kleine, lederne Taschen, aus einem Stück gefertigt.
Es ist ein friedlicher, träger Abend. Noch hat der selbsternannte „Islamische Staat“ (IS oder ISIS) nicht 32 Menschen im türkischen Suruç getötet, dafür aber tausende im Irak, in Syrien und Libyen. Weltweit werden im Namen Allahs Morde begangen. Nach dem Al-Quaida-Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ fanden Younes, Marcel und Nemi: Da muss man doch was machen.
Vermittler zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft
Zusammen mit Fiete und Farah bilden die drei das Kollektiv „Datteltäter“, laut Eigenbeschreibung ein „islamisches Empörium“. Man könnte auch sagen: Die Gruppe, bestehend aus Mulimen und Nicht-Muslimen, kämpft gegen religiösen Fanatismus – vor allem aber gegen Intoleranz und Vorurteile gegenüber Muslimen. Denn die würden, so Younes, unter dem „Generalverdacht gegenüber allem, was muslimisch ist“, sehr leiden.
Der Name „Datteltäter“ steht für die Vermittlerrolle, welche die Gruppe einnehmen will. „Die Dattel wird im orientalischen Raum zum Fastenbrechen benutzt“, erklärt Marcel. „Außerdem wollen wir Brücken zwischen den Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft schlagen. Und womit schlägt man Brücken? Mit Essen. Dazu kommt dann der negativ besetzte Begriff des Attentäters.“
Den Narrativen von ISIS etwas entgegensetzen
Als Medium haben die „Datteltäter“ Youtube gewählt und im letzten halben Jahr fleißig am eigenen Kanal gearbeitet. Anfang Juli luden sie das erste Video hoch – zeitlich passend zu der Keynote-Rede, die Nemi auf der Jahreskonferenz des „Netzwerk Recherche“ hielt und in der sie das Projekt ankündigte. Im ersten Video der „Datteltäter“ kaufen gut gelaunte Muslime fürs Wochenende ein, begleitet von einer fröhlichen Melodie. Das Ganze ist eine Persiflage auf eine bekannte Joghurt-Werbung:
„Vollbepackt mit Sprengstoffsachen, die den Teufel glücklich machen
hinein ins Höllenfeuer
mit ISIS-Weltansichten quälen, töten und vernichten
hinein ins Höllenfeuer“
Dazu wird geköpft und mit Sprengstoff hantiert, der Koran verschwindet derweil eilig in der Schublade. Nemi betont: „Es geht nicht darum, sich von etwas zu distanzieren. Sondern darum, zu den Leuten durchzudringen und den Narrativen von ISIS etwas entgegenzusetzen.“ Und das funktioniert nach Meinung der „Datteltäter“ am besten mit Humor. In einem anderen Video lesen die „Datteltäter“ Online-Kommentare zum Kopftuch, die zum Beispiel so lauten: „Man kann es nicht oft genug sagen: Kopftuchträgerinnen ablehnen! Nicht einkaufen, nicht einstellen, nicht reden. Gar nichts!“ Younes bedankt sich in dem Video süffisant für diesen „pädagogischen Tipp“.
„Angst ist ein schlechter Berater“
Die „Datteltäter“ kennen sich alle mehr oder weniger aus dem Umfeld des „i,Slam“, welchen Younes in Berlin ins Leben gerufen hat: eine sogenannte „Dichterschlacht“ für junge Muslime. Dabei stehen nicht nur, aber oft, muslimische Themen im Vordergrund, es wird mit Klischees gespielt oder einfach mal Klartext geredet. Auf einem Bürgerfest für Toleranz in der Pegida-Hochburg Dresden slammte Nemi im Januar vor tausenden von Zuhörern: „Glaub mir, Deutschland: Angst ist ein schlechter Berater.“
Younes, Marcel, Nemi, Fiete und Farah ist es sehr ernst damit, die Mehrheitsgesellschaft zu erreichen. Younes findet, dass die muslimische Community zu oft „in einem Einheitsbrei vor sich hindümpelt“. Es müsse viel mehr darum gehen, eigene Themen zu setzen und sich bemerkbar zu machen. Ein Erfolg sei es zum Beispiel, findet Nemi, wenn Menschen wie sie zu allen möglichen Themen etwas sagen dürften – und nicht nur dann eine Einladung ins Fernsehen bekämen oder von Medien angefragt würden, wenn es um religiöse und problembehaftete Themen gehe.
An guten Ideen mangelt es nicht, eher an Zeit
Damit das irgendwann Realität wird, arbeiten die „Datteltäter“ weiter am „Satire-Kalifat im Herzen der Youtubeszene“ (so die Eigenbeschreibung auf ihrer Webseite). Momentan treffen sie sich ein bis zweimal in der Woche – Farah ist meistens nur per Skype dabei, weil sie nicht in Berlin lebt. An guten Ideen mangelt es nicht, eher an Zeit: Neben Studium und Job bleibt davon oft viel zu wenig. Ziel ist es, regelmäßig neue Videos zu produzieren und deren Reichweite auszubauen: Bisher verzeichnen die Videos zwischen 2000 und 5000 Klicks. Interesse von professionellen Anbietern gab es zwar, die „Datteltäter“ wollen aber lieber autonom bleiben, ihr eigenes Ding machen. Und Vorurteile und Fanatismus nicht einfach so stehen lassen.
Die Cola ist ausgetrunken, Nemi, Younes und Marcel müssen los. Younes und Nemi werden sich nach Sonnenuntergang zum gemeinsamen Essen wiedersehen. Nicht-Muslim Marcel ist natürlich auch eingeladen. Mit Datteln lassen sich Brücken bauen – vor allem aber schmecken sie einfach gut.