Kultur

Sachgrundlose Befristungen: Warum die SPD auf eine Reform drängt

Sachgrundlos befristete Arbeitsverträge sollen nur noch als Ausnahme erlaubt sein, fordern die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und Arbeitsminister Hubertus Heil. Dafür muss die Union sich bewegen.
von Hubertus Heil · 20. Mai 2021
Die SPD will sachgrundlose Befristungen langfristig komplett abschaffen und drängt auf eine Reform noch in dieser Legislaturperiode.
Die SPD will sachgrundlose Befristungen langfristig komplett abschaffen und drängt auf eine Reform noch in dieser Legislaturperiode.

Flexicurity‘ war ein Schlagwort der frühen 2000er Jahre. Die Hoffnung bestand darin, Flexibilität und Sicherheit zu verbinden. Im Arbeitsrecht hat sich diese Hoffnung nicht bewahrheitet und ist sogar ins Gegenteil umgeschlagen. Befristete Arbeitsverträge wurden massiv ausgeweitet, sind aber viel zu selten die versprochene Brücke in dauerhafte Beschäftigung. Das galt schon vor der Corona-Pandemie, und das gilt 2020 noch einmal mehr. Inzwischen ist fast die Hälfte aller Neuverträge befristet. Aktuelle Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom April 2021 zeigen dabei, dass nicht einmal jeder dritte dieser befristeten Verträge in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis führte.

Große Unsicherheit durch Befristung

Die Folgen der Befristung sind für die Betroffenen oft größer, als man auf den ersten Blick vermutet. Vor allem für junge Menschen bringen sie große Unsicherheit in der Lebensplanung mit sich. Es ist schwerer, eine eigene Familie zu gründen, wenn man beruflich nicht planen kann, ob und wo der nächste Job gefunden wird. Auch langfristiges gesellschaftliches Engagement fällt oft aus, wenn bereits in einem halben Jahr jobbedingt ein Umzug notwendig ist. Die Banken sind oft skeptisch, wenn man nur einen befristeten Vertrag vorlegt – größere Kredite sind so oft unerreichbar. Sogar Vermieter ziehen die Augenbrauen hoch, wenn der Arbeitsvertrag befristet ist. Und im beruflichen Alltag zeigt sich oft: Wer befristet angestellt ist, hat weniger Verhandlungsspielraum beim Einkommen und tritt seltener für die eigenen Rechte – bspw. bei Überstunden – ein, solange die Hoffnung auf eine Vertragsverlängerung im Raum steht.

Trotz dieser negativen Auswirkungen auf Individuen und Gesellschaft wächst sich die Befristung ohne Sachgrund zum Normalfall aus. Diesen Trend müssen wir brechen. Das fordern auch Wissenschaftler*innen sowie Gewerkschaften immer wieder. Zugleich ist klar, dass es Gründe für Befristungen gibt, auf die wir nicht verzichten können. Wenn ein*e Mitarbeiter*in nur für kurze Zeit benötigt wird, zum Beispiel als Elternzeitvertretung, kann man mit diesem Grund befristet einstellen. In der Realität sind viel zu viele Befristungen jedoch nicht betrieblich bedingt, sondern nur Mittel zur Verlängerung der Probezeit und zur Umgehung des Kündigungsschutzes. Befristungen ohne Begründung öffnen das Tor zur Willkür. Im Jahr 2019 war fast jede zweite Neueinstellung befristet, mehr als die Hälfte davon ohne Sachgrund. 

Die Forderungen der SPD

Im Koalitionsvertrag ist deshalb auf Druck der SPD vereinbart, Befristungen deutlich zurückzudrängen. Wörtlich heißt es: „Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen.“ Zur Umsetzung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Gesetzentwurf erstellt und ans Kanzleramt geleitet. Kernpunkte sind: 

ERSTENS: Sachgrundlose Befristung soll wieder zu der Ausnahme werden, als die sie einst gedacht war. Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes soll künftig nur noch für die Dauer von 18 Monaten statt bislang zwei Jahren zulässig sein. Bei Arbeitgeber*innen mit mehr als 75 Beschäftigten können nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristet sein. Bei einem Unternehmen mit 80 Mitarbeiter*innen wären das zwei Beschäftigte, bei einem Unternehmen mit 120 Beschäftigten entsprechend drei. Dies muss im Arbeitsvertrag auch konkret schriftlich festgehalten und die Arbeitnehmer*innenvertretung einmal pro Quartal über den Stand informiert werden. 

ZWEITENS: Für die Befristung mit Sachgrund – zum Beispiel Elternzeitvertretungen oder Auftragsspitzen – gibt es bisher keine Höchstdauer. Das ist absurd. Eine Befristung kann nicht unbefristet gelten. Deshalb soll das künftig nur für maximal fünf Jahre möglich sein. Zudem soll eine erneute Befristung erst nach drei Jahren wieder erlaubt sein. Das dient dazu, Kettenbefristungen zu verhindern. Bisher ist es möglich, die gleiche Person immer wieder neu zu befristen – und ihr eine unbefristete Stelle zu verwehren. 

All diese Regeln sollen sowohl für den öffentlichen Dienst als auch die Privatwirtschaft gelten. Damit das Gesetz wie geplant zum 1. Januar 2022 in Kraft treten kann, ist jetzt das Kanzleramt gefragt. Der Gesetzentwurf liegt dort und wartet auf Freigabe zur Ressortabstimmung. Er dient einem großen Ziel: mehr Fairness und Sicherheit im Arbeitsleben. Das ist es, was wir der Union in der aktuellen Legislatur abverlangen. In der progressiven Regierung, die Olaf Scholz nach der Bundestagswahl anführen wird, werden wir die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne Sachgrund komplett abschaffen und zudem die Sachgründe für Befristungen kritisch überprüfen.

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Autor*in
Hubertus Heil

ist Bundesarbeitsminister und stellvertretender Vorsitzender der SPD.

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