Graf Antoni Sobànski ist ein Kosmopolit - er spricht sechs europäische Sprachen, lebte in London, Paris und Berlin und bereiste zahlreiche andere Städte. Er kennt das Berlin der Weimarer
Republik gut, hat Freunde und Bekannte in der Stadt. So fällt die Wahl auf ihn, als die "Literarischen Nachrichten" einen Auslandskorrespondenten für Deutschland suchen. Im Frühjahr 1933 kommt
Antoni Sobánski in Berlin an, um der polnischen Zeitung eine Innenansicht von Hitlers entstehendem "Dritten Reich" zu vermitteln.
"Erscheinungsformen der Rechtlosigkeit"
Sobánskis Sympathie für Deutschland ist groß. Erwartungsvoll blickt er der Reise entgegen: "Ich bin gewillt, jeden positiven Aspekt in diesem mir - im Geist und Ziel - so befremdlichen
Umbruch zu entdecken". Er wird schnell enttäuscht. "Deutschland befindet sich in einem fast hermetisch abgeschlossenen Kreis des Terrors", berichtet er.
Sobánski wird Zeuge der Bücherverbrennung. Wenngleich er entsetzt und zutiefst beschämt ist, erlebt er sie als kleine Veranstaltung. Er berichtet nach Polen von dem Meer von Uniformen das er
in Berlin sieht, wie sich die Nachtlokale verändern und Freunde ihn darauf hinweisen, keine Notizen offen liegen zu lassen. Er kennt auch die Läden, die fast ausschließlich Hitler-Bilder verkaufen
und liest die Zeitungen, die weder Information, noch Opposition bieten. "Wie soll man alle Erscheinungsformen der Rechtlosigkeit und die ganze Garderobe der Deckmäntel beschreiben, unter denen sie
sich versteckt?", fragt Sobánski.
Wachsender Antisemitismus
Was angeblich niemand gesehen hat, niemand wissen konnte, berichtet Sobánski schon 1933 aus Berlin. Er ist bestürzt über die vielen "Selbstmord"-Nachrichten in den Zeitungen. Auch die
zahlreichen Berichte über neu besetzen Stellen, die den Vorgänger nicht erwähnen, entgehen ihm nicht. Auf den Straßen im Westen scheine es beinahe wie früher, schreibt Antonio Sobánski. "Der
Antisemitismus ist noch nicht zur breiten Masse vorgedrungen", aber es wird agitiert. Den Regierungsstellen sei keine Lüge und keine Verleumdung zu schäbig.
Die meisten Juden, die Sobánski trifft wollen nicht auswandern - schließlich seien sie Deutsche, hört er immer wieder. Der Journalist ist bereits 1933 sicher, dass das künftige Schicksal der
Juden von der Dauer der Nazi-Herrschaft abhänge: "Wenn die jetzige Verfolgung mehr als zwei Jahre dauert, muss man ... mit der 'Säuberung' der Kunst, der Literatur und des intellektuellen Lebens
vom semitischen Element rechnen."
Vergessene Texte
Acht Reportagen verfasst Graf Sobánski 1933. Sie werden in den "Literarischen Nachrichten" abgedruckt, und danach auch in Buchform veröffentlicht. 1934 reist er wieder nach Deutschland. 1936
nimmt er am Reichsparteitag der Nazis in Nürnberg teil. Das Buch "Nachrichten aus Berlin 1933-1936" versammelt all diese Reportagen: verfasst aus dem Blickwinkel eines unabhängigen Beobachters, der
jedoch genügend Leute kennt, um einen umfassenden Einblick in Hitlers Deutschland zu bekommen.
Das polnische Buch mit Antoni Graf Sobánskis gesammelten Reportagen steht ab 1940 auf der Nazi-Liste der verbotenen Bücher. Das Ende des Krieges erlebt Sobánski nicht mehr - er stirbt am 14.
April1941 im Londoner Exil.
Die Wiederentdeckung seiner vergessenen Texte ist ein Glücksfall für jeden interessierten Leser. Sie zeichnen ein Bild der gesellschaftlichen Veränderungen im "Dritten Reich". Und sie
belegen, wie tiefgreifend diese bereits kurz nach Hitlers Machtübernahme waren.
Birgit Güll
Antoni Graf Sobánski: "Nachrichten aus Berlin 1933-1936", Parthas Verlag, Berlin, 2007, 250 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-86601-737-5
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