Regisseurin Barbara Miller: „Gleichberechtigung ist ein Gewinn für alle“
Sie porträtieren in „Female Pleasure“ fünf Frauen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, die sich gegen sexuellen Missbrauch und gegen sexuelle Unterdrückung wehren. Was war zuerst: Die Idee, einen Film über Unterdrückung zu machen oder die Protagonistinnen?
Mir ist immer mehr bewusst geworden, dass ganz viele Frauen auf der Welt nicht über ihren eigenen Körper bestimmen können und keine lustvolle oder selbstbestimmte Sexualität leben können. Dass Viele gar kein Recht haben Ja zu sagen – oder Nein. Ich habe mich gefragt: Wie kann es sein, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch mit diesem Problem konfrontiert sind? Darüber habe ich gesprochen und – vor allem von Frauen – Hinweise auf meine Protagonistinnen bekommen. So ist das ganz organisch entstanden.
Waren alle fünf gleich bereit sich zu beteiligen?
Ja. Das hat auch viel damit zu tun, dass sie den Schritt an die Öffentlichkeit, zumindest teilweise, bereits gegangen sind. Vithika Yadav hat in Delhi das erste Sexualaufklärungsprojekt im Internet gestartet. Deborah Feldman, die aus einer chassidischen Gemeinde in New York geflohen ist, hat ein Buch geschrieben. Doris Wagner, die ehemalige Nonne, die in einem Kloster vergewaltigt wurde auch. Sie machen das, obwohl sie sich Gefahren aussetzen – wie Leyla Hussein, die zum Teil unter Polizeischutz lebt, an einer geheimen Adresse, weil sie gegen weibliche Genitalverstümmelung kämpft. Alle haben sich damit auseinandergesetzt, was für ein Bild von Frauen diese Gesellschaft hat. Die japanische Künstlerin Rokudenashiko – sie macht ja Vaginakunst, die auch sehr lustig ist – wurde vom Staat dafür angeklagt. Diese Anklage hat ihr bewusst gemacht, wie feministisch ihre Kunst ist.
Eine ihrer Protagonistinnen, Leyla Hussein bezeichnet das Patriachat im Film als „weltweite Religion“. Hat Sie dieser Befund überrascht?
Ich wollte mich nicht grundsätzlich mit Religion auseinandersetzten. Meine These lautete: Es spielt keine Rolle aus welcher Kultur oder eben Religion wir kommen, wir Frauen haben alle ein sehr ähnliches Problem. Dass der weibliche Körper in allen Weltreligionen etwas Schuldbehaftetes ist, ist erst durch die Zusammenführung der Frauen im Film als großes Ganzes so deutlich geworden. Das war für mich toll zu sehen – aber auch traurig. Das sind fünf moderne Frauen in Weltmetropolen im 21. Jahrhundert und alle haben das gleiche Problem. Aber: Wir Frauen kämpfen gegen das Gleiche und wenn wir uns solidarisieren, wenn wir uns dagegen auflehnen, können wir auch etwas erreichen.
Der Film ist ein Aufruf zu weiblicher Solidarität. Es gibt diese positive Grundhaltung – obwohl den Frauen so viel Schlimmes widerfahren ist. Woher kommt das?
Die Drehabreiten mit den Frauen waren toll. Bei den Gesprächen mit ihnen geht man durch alle Tiefen, aber die Frauen sind so positiv. Diese Kraft und dieser Glaube daran, dass man etwas bewirken kann, das ist die Energie die wir brauchen, um etwas zu verändern. Frauensolidarität ist so wichtig. Deshalb finde ich es auch so toll, dass diese fünf Frauen sich hinstellen und nicht nur für sich sprechen – man erfährt auch ihre eigene Geschichte – sondern für alle Frauen und ihnen Mut machen.
Welche Rolle spielen Männer für die Gleichberechtigung der Geschlechter?
Ich glaube, Frauen und Männer müssen sich gemeinsam dafür einsetzen. Gleichberechtigung ist ein Gewinn für alle. In Ländern wo Frauen nicht als gleichwertig angesehen werden, sind die Männer eigentlich einsam. Ich habe die Hoffnung, dass sich etwas verändert. Wenn die Massai-Männer verstehen, dass Genitalverstümmelung ihren Frauen die Lust raubt, wollen sie das beenden, das habe ich durch den Film erlebt. Wenn Barack Obama sagt: I’m a feminist. Toll! Wir müssen das gemeinsam angehen.
Ganz am Beginn Ihres Films zeigen Sie Werbesujets bekannter Modemarken, die Frauen zum sexuellen Objekt machen, die Unterdrückung erotisch inszenieren. Warum haben Sie das an den Anfang gestellt?
Es war mir unglaublich wichtig, dass wir von einem kolonialen Blick wegkommen, dieses: Die anderen haben noch ein Problem, bei uns ist alles in Ordnung. Nehmen wir die Internetpornografie, die bei uns genauso verbreitet ist wie im Rest der Welt: Die Frau wird nicht mehr total verhüllt, sondern total enthüllt, aber es geht um die Befriedigung des Mannes und die Frau ist kein selbstbestimmtes Subjekt. Deshalb war es mir wichtig einen Film zu machen, der uns bewusst macht, wo wir stehen. Auch bei uns sind die Urfiguren Maria und Eva da – die Unbefleckte und die Frau, die das Böse in die Welt gebracht hat. Durch die 68er hat sich viel bewegt, aber wir sind noch nicht am Ziel.
Female Pleasure startet am 8. November in den deutschen Kinos.
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.