"Deutschland, so war Oberst Henning von Tresckow, hoch dekorierter Angehöriger der Heeresgruppe Mitte überzeugt, steuere auf eine riesige Katastrophe zu, wenn Adolf Hitler nicht beseitigt
würde. Eine Ansicht, die durchaus von zahlreichen Offizieren der Wehrmacht geteilt wurde. Dennoch blieben die meisten unter Berufung auf ihre militärische Pflicht zu Gehorsam und Gefolgschaft
untätig. Prominentes Beispiel für eine solche Geisteshaltung war Ernst Jünger.
Ob ein geglückter Anschlag auf den Diktator tatsächlich alles verändert, den Weltkrieg verkürzt, den Völkermord und das Leiden beendet hätte, bleibt Spekulation. Der Versuch schlug fehl und
die Beteiligten wurden als Hochverräter hingerichtet. Das Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 stellt einen tragischen Höhepunkt in der Geschichte des deutschen Widerstands dar, und wohl genau
deshalb ranken sich um kaum ein anderes Datum der deutschen Zeitgeschichte mehr Legenden. Anlässlich des 60. Jahrestages des Attentats hat sich der Guido Knopp, bekannt als "Haus und
Hof-Historiker" des ZDF ein weiteres Mal der offenen Fragen angenommen. Unter seiner Leitung produzierte die Redaktion Zeitgeschichte des Senders eine fünfteilige Dokumentarreihe zu dem Thema,
deren Ausstrahlung durch die Veröffentlichung des vorliegenden Begleitbandes ergänzt wurde.
Insgesamt 42 Attentatsversuche auf Adolf Hitler hat es in den Jahren 1938 bis 1944 gegeben. Während die "Weiße Rose", die Geschwister Scholl oder auch der Kreisauer Kreis nach dem Untergang
des Nazi-Reiches den Weg in die Geschichtsbücher und damit in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik gefunden haben, sind andere dagegen längst vergessen. So ist der schwäbische
Schreinergeselle Georg Elser, dessen Bombe ihr Ziel am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller nur knapp verfehlte, heute nur den Fachleuten ein Begriff. Diese und andere Aktionen stellt das
Buch exemplarisch vor, ausführlich schildert Knopp die Entwicklung der Pläne, die Probleme und Zweifel sowie die breit gefächerten Motive der Verschwörer. Deren einzige Gemeinsamkeit lag oftmals in
der Weigerung, sich tatenlos ins Mitläufertum zu ergeben und in der Bereitschaft, das eigene Leben für eine bessere Zukunft zu opfern. Obwohl die Erfolgsaussichten gering waren, an Entschlossenheit
mangelte es nicht.
Der Schwerpunkt des Buches liegt natürlich auf dem Schicksal des jungen Mannes, dessen Name im Nachkriegsdeutschland zum Synonym für die Auflehnung des aufrechten Geistes gegen ein grausames
Terrorregime werden sollte: Claus Schenk Graf von Stauffenberg, akribischer, unbeirrbarer Planer und Attentäter des 20. Juli. Die Chronik der Ereignisse liest sich teilweise wie das Drehbuch eines
Kriminalfilms. Mehr als einmal glaubt der Leser, die drohende Verhaftung ständig vor Augen, den Moment von Stauffenbergs vorzeitigem Scheitern und die endgültige Zerschlagung aller Hoffnungen
erreicht zu haben. Der Autor stützt sich bei der Analyse auf die neuesten Forschungsergebnisse, ohne dabei insgesamt allerdings allzu viel Überraschendes zu Tage zu fördern. Am Ende steht einmal
mehr die bittere Erkenntnis, dass selbst die heroischsten Absichten der unberechenbaren Regie des Zufalls unterliegen.
Die Herangehensweise des "Fernsehhistorikers" ist nicht ganz unumstritten. "Sie wollten Hitler töten" reiht sich nahtlos in Guido Knopps gelegentlich mit dem Prädikat der journalistischen
Massenproduktion verfemten Oeuvre ein. Vollständig negativ kann das nicht sein, wird auf diese Weise doch auch Publikum erreicht, das mit Geschichtsbüchern generell eher "auf Kriegsfuß" steht. Der
Band ist zugegebenermaßen eine packende Lektüre, die nur so sprudelt vor interessanten, größtenteils jedoch aber trivialen Details. Die enge dramatische Verknüpfung historischer Fakten mit
bewegenden Augenblicken menschlicher Schicksale verwischt aber immer wieder die Grenze zwischen Erzählung und objektiver wissenschaftlicher Studie. Sicherlich ungewollt trägt dies letztendlich auch
zur weiteren Verklärung der am Attentat des 20. Juli 1944 beteiligten Personen und ihrer Handlungen bei.
Michael Funk
Guido Knopp: Sie wollten Hitler töten, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2005, 348 Seiten, EUR 9,90, ISBN: 3-442-15340-9
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