Kultur

Ralph Giordano: „Ein wunderbares Leben, aber ein schwer belastetes“

Ralph Giordano war eine Figur der Zeitgeschichte. Sein später verfilmter autobiographischer Roman „Die Bertinis“ und die „Erinnerungen eines Davongekommenen“ haben eine ganze Generation geprägt.
von ohne Autor · 11. Dezember 2014
Ralph Giordano: Mit 91 Jahren starb der Publizist und große Kämpfer gegen Rechts
Ralph Giordano: Mit 91 Jahren starb der Publizist und große Kämpfer gegen Rechts

Diese Bücher haben dem Schrecken der Nazizeit ein Gesicht gegeben. Das Schicksal einer Familie, einer unter Millionen, seiner Familie, wurde aus der Anonymität geholt.

 Giordano, der im Alter von 91 Jahren nach einer Operation in Köln gestorben ist, stammte aus einer italienisch-deutsch-jüdischen Familie. Die Erfahrungen seiner Kindheit wurden lebensprägend: Demütigungen, Gewalt, Ausgrenzung, Folter in der Gestapohaft, Leben im Versteck, Hunger bis nahe an den Hungertod, ständige Angst vor Entdeckung und Tod. Das alles hat tiefe Spuren im Leben des  bekannten Publizisten und Dokumentarfilmers hinterlassen. Über 100 Filme hat Giordano gedreht, über Slums, über den Hunger in der Welt, über deutsche Kolonialgeschichte, über Israel und Palästina. Diese glänzende Reporterkarriere endete, als Panikattacken ihm das Fliegen unmöglich machten.

Das ganze Leben ein langer Kampf

Ralph Giordanos ganzes Leben seit 1945 scheint Kampf gewesen zu sein: Kampf gegen Rechts, Kampf gegen Ungerechtigkeit, Kampf um Anerkennung, manchmal auch Kampf gegen Windmühlenflügel. Im hohen Alter kämpfte der Wahl-Kölner gegen islamischen Fundamentalismus – und schoss dabei weit über das Ziel hinaus, wie selbst solidarische Freunde mit Kopfschütteln feststellten. Konkret ging es um den Bau einer zentralen Groß-Moschee in Köln. Der Schriftsteller wollte das verhindern und sagte in alle Mikrofone, dass er eine beachtliche Minderheit der Muslime für nicht integrierbar hielt. Für dieses Ziel ließ er sich sogar mit unappetitlichen rechten Fanatikern ein. Es war rätselhaft, denn in der Vergangenheit hatte er sich immer wieder leidenschaftlich für ausländische Flüchtlinge und Zuwanderer eingesetzt und sich den glühenden Zorn der Rechten zugezogen. Er musste immer wieder unter Polizeischutz leben, erhielt schriftliche Morddrohungen und litt unter dauerndem Telefonterror.

Viele Menschen, die die Nazigewaltherrschaft überlebt haben, werden im Alter besonders stark von den Erinnerungen eingeholt. Wenn die Ablenkungen durch Beruf und Familie nicht mehr da sein, wenn die Freunde allmählich wegsterben. Bei einer Begegnung vor einigen Jahren in seiner eleganten Kölner Wohnung sagte der zarte, häufig kranke Mann mit dem üppigen, langen Haarschopf und den vollendeten Gastgeber-Manieren: „Das wird mich bis zum letzten Atemzug verfolgen. Davon werde ich mich nie befreien können. Ich will es auch gar nicht.“

Dem Tode nahe in die Freiheit gekrochen

Die jüdische Mutter und ihre drei jugendlichen Kinder haben überlebt, versteckt in einem „rattenverseuchten, grausigen Kellerverlies.“ Bei der Befreiung durch die Engländer lag die Familie dem Tode nahe auf der Erde. Es dauerte noch einen Tag und eine Nacht, bis sie die Nachricht glauben konnten und auf Knien die Treppe hinauf in die Freiheit krochen.

Ralph Giordano, der Erfolgreiche, der vielfach Ausgezeichnete, dessen Bücher geliebt wurden, den viele Menschen bewunderten, musste ein langes Leben hindurch mit diesen Erinnerungen leben. Er war in Deutschland verwurzelt, aber die Angst hat ihn nie verlassen. Er wurde mit Ehrungen überhäuft, aber das Misstrauen ist geblieben. Er sei nach dem Krieg moralisch verwildert gewesen, sagte er im hohen Alter. Erst seine Frau Helga habe ihn rehumanisiert. Und so wurde das Schreiben seine Waffe, die Auseinandersetzung mit der Nazizeit und bald auch mit dem Unrecht, das Menschen rund um den Globus geschah.

 

 

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