Pierre Radvanyi, geboren 1926 in Berlin, von Beruf Physiker, gibt in seiner ersten belletristischen Arbeit einen Rückblick auf die Jahre des Exils. Nach der "Machtergreifung" 1933 emigrierte
die vierköpfige Familie nach Frankreich; nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1941 übersiedelte sie nach Mexiko.
Auf diesen Zeitraum bezogen erzählt Radvanyi nun Anekdoten aus dem Familienleben und großen Freundeskreis. Aus den Erinnerungen des Sohnes heraus erscheint Anna Seghers als eine lebensfrohe
und mutige Frau, die als Mutter stets besorgt ist um das Wohlergehen ihrer beiden Kinder.
Unvollendete Tatsachen
Die Erzählung endet abrupt mit der Rückkehr des Autors nach Frankreich 1945. Dann trennen sich die Wege von Mutter und Sohn. Sie leben in gegensätzlichen Welten - Anna Seghers als überzeugte
DDR-Bürgerin und ihr Sohn als französischer Staatsbürger.
Diese Diskrepanz erklärt vielleicht im Nachhinein die verhaltene Stellungnahme und fehlende Reflektion über die politische Rolle der Anna Seghers und ihre Vereinnahmung als Vorzeigeautorin
durch die Führung der DDR.
Soweit Politisches überhaupt zur Sprache kommt, wird es lediglich am Rande erwähnt und nur oberflächlich erklärt. Über dieses Manko war sich Pierre Radvanyi wohl im Klaren gewesen und
rechnete bereits mit Kritik.
So gelingt es dem Autor also nur bedingt, Anna Seghers - unter Aussparungen wichtiger Details aus ihrem Lebensabschnitt in der DDR - als Privatmenschen darzustellen. Die Erinnerungen nach
1945 hätten das Buch abgerundet. Nun wird der Leser leider mit dem Gefühl unvollendeter Tatsachen entlassen.
Edda Neumann
Pierre Radvanyi "Jenseits des Stroms. Erinnerungen an meine Mutter Anna Seghers", Aufbau-Verlag, 2006, 7,95 Euro, 153 Seiten, ISBN-13: 978-3746622835
0
Kommentare
Noch keine Kommentare