Kultur

Porträt einer bewegten Zeit

von Die Redaktion · 21. August 2008
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Singhs Roman gehört zur so genannten Partitions Literatur Indiens, die sich hauptsächlich mit der Teilung des Landes und der daraufhin einsetzenden Gewalt zwischen Hindus und Moslems beschäftigt. Das Ende der britischen Kolonialherrschaft brachte Indien 1947 die lang ersehnte Unabhängigkeit. Jedoch wurde das Land geteilt: in das mehrheitlich hinduistische Indien und das mehrheitlich muslimische Pakistan. Daraufhin mussten unzählig viele Hindus und Sikhs Pakistan in Richtung Indien verlassen und umgekehrt mussten sich Millionen Moslems in die entgegengesetzte Richtung begeben. Oftmals kam es auf beiden Seiten zu Massakern, Mord, Raub und Vergewaltigungen. Es entstanden Feindschaften, die bis heute andauern und zu blutigen Auseinandersetzungen führen. Khushwant Singh, 1915 im heutigen Grenzgebiet geboren, zählt zu den großen Autoren Indiens. Er hat selbst die Schrecken der Teilung miterlebt und in seinem erfolgreichen Roman verarbeitet. Bereits 1956 veröffentlicht, erscheint dieser Klassiker der indischen Literatur nun erstmals auf Deutsch. Ein idyllisches Dorf Das Provinznest Mano Majra, nahe der Grenze zu Pakistan, wird in Singhs Roman zum Zentrum des Konflikts. Während die Gewalt ringsum zunimmt und die Stimmung im Land immer hasserfüllter wird, leben in diesem Dorf Muslime, Hindus und Sikhs immer noch friedlich neben einander. Die Bewohner haben ihren Alltag auf die vorbeifahrenden Züge abgestimmt. Doch die Idylle wird abrupt gestört durch den Mord an Ram Lal, dem Geldverleiher und einzigen Hindu im Ort. Verdächtigt wird der Dorfganove Jaggat Singh, dessen Vater und Großvater schon als Kriminelle gehenkt wurden. Aber auch ein kürzlich mit dem Zug angekommener undurchsichtiger Großstädter, der sich als Sozialarbeiter ausgibt, wird verhaftet und verdächtigt. Die Aufregung wird zusätzlich durch die unplanmäßige Ankunft eines Zuges mit Flüchtlingen aus Pakistan gesteigert. Er ist gefüllt mit den Leichen ermordeter Sikhs. Unheimlich und gespenstisch wirkt der Zug auf die Menschen. Nicht nur der Zeitablauf im Dorf ist durcheinander geraten - nun hat der Sog der Gewalt auch endgültig Mano Majra erreicht. Ein Leben für ein Leben Das Geschehen in Singhs Roman steht als Gleichnis für die Politik in Indien. Der Autor analysiert sehr genau, wie Religion als Machtfaktor missbraucht wird, um das friedvolle Nebeneinander der Religionen zu zerstören. Auch in Mano Majra werden schlagartig aus Freunden Feinde. Was zum Überleben zählt, ist die Religionszugehörigkeit. Im Roman treffen verschiedene Charaktere aufeinander: gleichgültige und feige Inder, die ihren muslimischen Nachbarn nicht helfen, korrupte Bürokraten, intellektuelle Idealisten und verkrachte Existenzen, die sich an der Not anderer bereichern. Und schließlich ist da einer, der beherzt sein Leben für die Rettung der Muslime einsetzt. Konsequent und straff erzählt, spiegelt der Roman ein authentisches Bild dieser Umbruchszeit in Indien wider. Allerdings fehlt dem Roman das Interesse an Einzelschicksalen, was den Roman glaubwürdiger und spannender erscheinen ließe. "Der Zug nach Pakistan" bietet ein anschauliches politisches und soziales Sittengemälde des Sommers 1947. Edda Neumann Khushwant Singh: Der Zug nach Pakistan, Insel Verlag, 2008, 234 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3458174004

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