Kultur

Plädoyer für den Wohlfahrtsstaat

von Die Redaktion · 20. November 2006

In der bundesdeutschen Öffentlichkeit scheint übereinstimmend die Meinung zu

herrschen, dass der Sozialstaat, wie er unter Bismarck in seinen Grundzügen

entstand, sich in einer schweren Krise befindet. Die Globalisierung und die

demografische Entwicklung mache nach Willen der besonders radikalen

Vertreter des Neoliberalismus den Abbau notwendig.

In Deutschland, in dem es mit SPD und den Unionsparteien gleich zwei

Sozialstaatsparteien gibt, überrascht diese Tatsache schon ein wenig. Für

Christoph Butterwegge, der den Erhalt des bismarkschen Modells in seinen

Grundstrukturen befürwortet, liegt das daran, dass beide großen Parteien sich

von ihren sozialstaatlichen Wurzeln verabschiedet haben. Beide haben sich

nach Butterwegges Meinung gänzlich der neoliberalen Ideologie zugewandt.

In den ersten beiden Abschnitten liefert er neben einer Begriffsdefinition die

Geschichte des deutschen Wohlfahrtsstaates von der Entstehung bis zur ersten

großen Wirtschaftskrise in der Mitte der 1970er vor. Er stellt die Charakteristika

des deutschen Modells vor, das für die überwiegende Mehrheit der Menschen in

Deutschland eine Absicherung nach dem Versicherungsprinzip vorsieht. Hierin

sieht er enorme Vorteile für die Bevölkerung. Er arbeitet heraus, dass ein großer

Unterschied darin besteht, ob Leistungen aufgrund gezahlter Beiträge oder als

"Almosen" des Staates bezogen werden. Die berühmten Hartz-Reformen,

insbesondere die Einführung des Arbeitslosengeldes II, bedeutet nach

Butterwegge eine Abwendung vom Versicherungsprinzip und die Aussteuerung

älterer Langzeitarbeitsloser aus der Arbeitslosenversicherung mit gravierende

Belastungen für die Betroffenen.

Butterwegge hält an dem Versicherungsprinzip fest. Einerseits warnt er vor der

Abhängigkeit der steuerfinanzierten Leistungen von der jeweiligen

Haushaltslage. In diesem Zusammenhang macht er auf die Finanzkrise des

Staates aufmerksam und stellt sich die Frage, wie denn die Sozialleistungen auf

dieser Grundlage gesichert werden können.

In seinem Buch benennt er abschließend Alternativen innerhalb des beitrags-

und umlagefinanzierten Systems. Im Anschluss an die Beschreibung des

Modells der viel diskutierten Bürgerversicherung bei der Krankenversicherung

fordert er die Übertragung dieses Vorschlags auf die gesamte deutsche

Sozialversicherung. Bisher sind die Sicherungssysteme aufgeteilt: es existieren

neben der Sozialversicherung die private Absicherung und die

Beamtenversorgung. Dies ist, so Butterwegge, nicht mehr zeitgemäß. Alle

Beschäftigungs- und Erwerbsformen müssten in die Sozialversicherung

einbezogen werden.

Jeder, der mit sinnvollen Argumenten gegen den weiteren Abbau des

Sozialstaates eintreten will, kann dieses Buch mit Gewinn lesen.

Stefan Campen

Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaats. 3., erw. Auflage. VS

Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2006. 354 Seiten. 24,90 Euro.

ISBN 3-351-44848-0

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