Es hat meist einen faden Beigeschmack, wenn Kinder von Erwachsenen in den Himmel gelobt werden. Für Violetta bringen die weihevollen Worte eines Pariser Galeristen ihr ganzes Dilemma auf den Punkt: "Deine Mutter ist eine Pionierin und Du bist ihr Kunstwerk." Diese Kunst wird für die 10-Jährige zur Tortur. Anfangs genießt sie es, sich von ihrer Mutter in lasziv-morbiden Posen ablichten zu lassen, sei es als Gothic-Queen mit Strapsen und Kruzifix oder als Lolita-Version von Marlene Dietrich. Doch gegen Ende von "I'm Not a F**king Princess" bleibt nichts als Ekel vor der Vorstellung, das Objekt von anderen und ihren merkwürdigen Begierden zu sein. Die Verehrung der durchgeknallten Fotografin weicht der Rebellion.
Minderjährige als Objekt erotischer Kunst, gar als Nacktmodelle, die Titelseiten von Magazinen zieren: Es ist erstaunlich, was Anfang der 70er-Jahre in jenen kreativen Kreisen, die sich für fortschrittlich hielten, für Verzückung sorgte. Galten jene Grenzüberschreitungen dort auch als Teil der sexuellen Revolution, waren sie in der breiten Öffentlichkeit - freundlich gesagt - umstritten. Heutzutage, angesichts von Missbrauchsskandalen und Kinderpornos, wären derlei Tabubrüche umso mehr undenkbar.
Wie sich die in Szene gesetzten Kinder gefühlt haben könnten, lässt das Regiedebüt der Schauspielerin Eva Ionesco erahnen. Es ist über weite Teile auch ihre Geschichte. In eben jener Zeit machte ihre Mutter, die Fotografin Irina Ionesco, sie als minderjähriges Aktmodell zum Star der Pariser Kunstszene. Es folgten erste Filmrollen. Ab den späten Siebzigern wuchs sie bei Pflegeeltern auf. Später ging die heute 46-Jährige gerichtlich gegen die Veröffentlichung ihrer Bilder, darunter zahlreiche Nacktaufnahmen, vor. Dennoch tauchen sie immer wieder auf Auktionen und in Bildbänden auf.
Mutterliebe mit Nebenwirkungen
Den schmalen Grat zwischen Ausbeutung und Kunst durchleidet auch Violetta. Der entrückten Hannah ist nicht ansatzweise bewusst, was sie mit ihrer Tochter anstellt, die immer mehr zum Gespött ihrer Mitschüler wird - kein Wunder, wenn ihre Mutter sie vor aller Augen in ein Spitzenkleidchen zwängt, um das nächste Shooting vorzubereiten.
Doch für Hannah ist das alles nur ein Ausdruck tiefster Mutterliebe. "Man kann sie als Monster sehen, aber ihr ist nicht klar, dass sie etwas Böses tut", sagt Hauptdarstellerin Isabelle Huppert über ihre Rolle. "Für sie gibt es keinen Unterschied zwischen 'Zieh dich aus' und 'Putz dir die Zähne'." Erst als Violetta aufbegehrt, erwacht Hannah aus ihrem Wahn.
Um die Erfahrungen ihrer Kindheit im Film aufzuarbeiten, bemühte sich Ionesco um Distanz, daher gibt es keine Nacktszenen. Mit jenem Abstand macht sie aus einem persönlichen Drama einen süßsauren Rausch in üppigen Bildern, am Kitsch wird nicht gespart.
Größenwahn und Glamour
In dieser bizarren Opulenz spiegeln sich Hannahs abgründige Kunsttriebe wider, die sich suchtartig und um jeden Preis entäußern. Anfangs ist sie eine schrille, aber liebevolle Nachtschwärmerin, die um ihre kreative Selbstverwirklichung kämpft. Doch kaum hat sich der erste Erfolg mit den Bildern ihrer Tochter eingestellt, wird sie zur Getriebenen ihres nunmehr stärksten Drangs, dem Größenwahn.
Mit strahlend blonder Lockenmähne und düster-glamourösen Gewändern wirkt Hannah wie eine Kreuzung aus einer 40er-Jahre-Hollywood-Diva und Nosferatu - gleich einem Engel, der aus unendlichen psychedelischen Weiten zu den Menschen herabsteigt. Wer, wenn nicht Isabelle Huppert kann diese kühle, dekadente und intellektuelle Erotik so durchdringend verkörpern. Wieder einmal liefert die Französin eine Glanzleistung darin ab, emotionale Eruptionen und Widersprüche mit einem scheinbar stoischem Habitus zu konterkarieren, geradezu ein Sinnbild gebrochener Charaktere zu erschaffen. Die Inszenierung durch Licht und Kostüm steigert dieses Charisma unerhört.
Wahrheit im Märchen
Märchenhafte Figuren in einer märchenhaften Welt: Möglicherweise ist die Kunst der Verfremdung der ideale Weg, von den Kräften zu erzählen, die menschlicher Wahn entfalten kann. Ob dieser Ansatz dafür geeignet ist, Violettas Werdegang zwischen kindlichem Schutzbedürfnis und öffentlichem Rummel erfahrbar zu machen, muss hingegen bezweifelt werden. Zu sehr dominiert die Perspektive der Mutter.
Gleichwohl erwächst ihr in Violetta eine ebenbürtige Gegenspielerin, hinreißend gespielt von Anamaria Vartolomei. Am Ende verblassen die klassische Rollenbilder: Hannah lebt radikale Formen von Selbstsucht, Realitätsverweigerung und Spieltrieb aus, die sogenannten Problemkindern zugeschrieben werden. Violetta übernimmt den Part des Erwachsenen, indem sie an Hannahs Vernunft appelliert, wenn auch erfolglos: Anstatt der Tochter bei den Hausaufgaben zu helfen, macht sie ein Selbstporträt in einem Meer von Puppen - einen grandioseren Peter Pan hat man nie gesehen!
Info:
I'm Not a F**king Princess
(Originaltitel: My Little Princess), Frankreich 2011, Regie: Eva Ionesco, mit Isabelle Huppert, Anamaria Vartolomei, Georgetta Leahu u.a., 106 Minuten
Kinostart: 27. Oktober