Kultur

Peer Steinbrück und die Schriftsteller

von Klaus-Jürgen Scherer · 20. September 2013

Nachdem im Bundeskanzleramt von Angela Merkel niemand die fast 70.000 Unterschriften des NSA-Protestes der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren entgegennehmen wollte, empfing Peer Steinbrück trotz seines vollen Wahlkampfterminkalenders im „Tucher am Tor“ bei Kaffee und Kuchen demonstrativ eine Schriftstellerdelegation.

Nicht nur um sich zu informieren. Auch um den Autoren Respekt zu zollen, er würde als Bundeskanzler Schriftsteller und Intellektuelle nicht im Regen stehen lassen. Peer Steinbrück bedankte sich ausdrücklich für das Engagement dieser unabhängigen Autoren-Initiative, die Kanzlerin Angela Merkel zum Handeln in der NSA-Affäre aufruft.

Demokratie braucht Debatte

Michael Kumpfmüller, Ulrike Draesner, Nora Bossong, Steffen Kopetzky und Kristof Magnusson waren gekommen. Steinbrück hatte die Internet-Expertin aus seinem Kompetenzteam, Professorin Gesche Joost, mitgebracht.

Man war sich einig, es gehe gerade nicht um eine Wahlkampfaktion. Es gehe um ein grundlegendes Zukunftsthema, das Merkel wie so vieles andere nicht thematisiert. Konfliktvermeidung statt Debatte und Zukunftsgestaltung. So wird Demokratie, die es ohne Analyse, ohne Diskurs und ohne das Ringen um neue politische Rahmenbedingen nicht geben kann, existenziell gefährdet.

Merkel ignoriert systematische Grundrechtsverletzung

Dabei muss beunruhigen, dass Geheimdienste (auch befreundete) offenbar alles tun, was technisch möglich ist. Dass die Merkel-Bundesregierung im Datenskandal so tut als sei nichts gewesen, dabei gibt es systematische Grundrechtsverletzungen, dabei steht die Souveränität unseres Landes in Frage, dabei macht die neue Herrschaft der Algorithmen bei der kommerziellen Durchdringung des Netzes genau so viel Angst wie die Ausspähung durch die Geheimdienste. Peer Steinbrück sah sich in seiner Haltung bestärkt, man könne nicht über ein Freihandelsabkommen mit den USA verhandeln, wenn man gleichzeitig davon ausgehen muss, abgehört zu werden

Die Schriftstellerinitiative will die Öffentlichkeit aufrütteln. Davon, Anschaulichkeit herzustellen, war die Rede. „Die Freiheit und Offenheit des Wortes und des Gedankentransfers, im Grunde unsere europäische Identität, sind in Gefahr“, so Ulrike Draesner.

Zentrale Gestaltungsaufgabe der Politik

BIG DATA – dass sich alle Daten im Netz verselbständigen und missbraucht werden können, dass keiner mehr weiß, was mit seinen Daten geschieht, dass es keine demokratische Kontrolle mehr über diese neuen Medien gibt – das alles beunruhigt die Schriftsteller. Der Autor, Filmemacher und Theaterregisseur Andres Veiel, der auch Teil der initiative ist, hatte jüngst auf einem Podium in der Akademie der Künste dieses Unbehagen zugespitzt: Selbst im Kleingedruckten der Plattform, mit der die Unterschriften des Offenen Briefes an Merkel im Internet gesammelt wurden, stünde, dass man mit seiner Datenweitergabe einverstanden sei.

Für Peer Steinbrück ist die globale Entgrenzung des Internets gar ein Parallelfall zu den Finanzmärkten. Eine zentrale Gestaltungsaufgabe der Politik. Die hier begonnen werden müsse, besonders auf europäischer Ebene. Letztlich habe das eine weltweite Dimension.  

Bürgerrechte im Netz

Es gab natürlich kein offizielles Kommuniqué. Hätte es ein Ergebnisprotokoll des Treffens gegeben, so wäre, so viel sei hier verraten, Einigkeit in folgenden drei Punkten hervorgehoben worden:

Erstens: Wir brauchen eine weitreichende gesellschaftliche Debatte über die gesellschaftlichen Folgen der digitalen Revolution und was jetzt dringend neu geregelt werden muss. Vom Recht aufs Löschen, von Europa als Marktortprinzip, von europäischen IT-Sicherheitsstandards, von der weltweiten Durchsetzung von Bürgerrechten im Netz und vielem mehr war die Rede.

Zweitens: Da unterm Strich heute mehr Fragen als Antworten bleiben, wie diese Jahrhundertaufgabe, das weltweite Netz als öffentliches Gut demokratisch zu gestalten, angegangen werden kann, sollte die vorgetragene Autorenidee eines besonderen Think Tanks aufgegriffen werden.

Drittens: Vielleicht muss es nicht gleich, wie von Autorenseite angeregt, ein eigenes Ministerium für digitale Angelegenheiten sein; aber Fragen des Netzes und seiner Gestaltung müssen in einer neuen Regierung gebündelt und entsprechend abgebildet werden.

Gemeinsam agieren

Am Ende blieb festzuhalten: Für diese Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die zumeist zwischen 30 und 50 Jahren alt sind, ist diese Initiative eine neue Generationserfahrung von Gemeinsamkeit, Auseinandersetzung und Politisierung. Das Gerede, es sei alles nur noch Innerlichkeit und Befindlichkeit, die Autoren seien individualisier und würden sich nicht mehr einmischen, erweist sich mal wieder als interessengeleitet und als falsch. Man darf gespannt sein, was man noch alles von ihnen lesen und hören wird.

Autor*in
Klaus-Jürgen Scherer

ist Redakteur der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte.

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