Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz konnten wir bald die Gründung der Initiative bekannt geben. Wir gaben uns auf dieser Pressekonferenz das Motto "Gesicht zeigen".
Das war die Aufforderung, nicht mehr wegzusehen und Verantwortung zu übernehmen für den zivilen Widerstand gegen die Wiedergänger der braunen Totengräber. In den vielen folgenden Gesprächen
versuchte ich, Paul Mut zu machen, ihm Zutrauen zu geben, an die demokratischen Tugenden in unserem gemeinsamen Heimatland zu glauben. Er könne sich darauf verlassen, dass die Juden in Deutschland
nicht mehr allein gelassen seien. Paul Spiegel, der wie jeder andere Überlebende des Holocaust den schmalen Weg zwischen Misstrauen und Zuversicht zu gehen hatte, entschied sich für die Zuversicht.
Dennoch war mir immer deutlich, dass Paul nie das Gefühl kannte, auf wirklich sicherem Boden zu stehen. Jeder rassistische oder antisemitische Zwischenfall fuhr ihm in den Magen. Ich brauchte
ihn nur anzusehen, um zu bemerken, dass er doch zu verzagen drohte. Da nutzt es dann nichts zu wissen, dass die braunen Schläger von heute nur eine Minderheit sind. Da nutzt es auch nichts,
Gewissheit zu haben, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Denn nach dem großen Desaster der Deutschen, als Juristen und Beamte sich nicht lange bitten ließen und zu Erfüllungsgehilfen der Nazis
wurden, haben wir heute den Staat an der Seite der Demokraten, die sich gegen die neuen Nazis zur Wehr setzen. Das Schlimme an diesem Neo-Nazi-Spuk ist ja dennoch, dass deutsche Juden wieder
Zielscheibe sind, wieder als Ausnahme von der Regel gelten und damit erneut "ausgesondert" sind.
Das wirft uns weit zurück. Paul hat darunter gelitten, dass es erneut Antisemitismus auch in diesem Land gibt. Auch wenn ich sicher bin, dass sich darin eine Minderheit abbildet, die den
Kampf nicht gewinnen wird. Was ihm immer wieder Mut machte, waren die vielen Initiativen und Gruppen, die sich jetzt auf den Zinnen zeigen, auf denen er sich so oft allein gefühlt hatte. Auf den
zivilen Widerstand setzte er, und er blieb "Gesicht zeigen" treu, auch als ihn die Krankheit mehr und mehr hinderte, sich aktiv zu engagieren. Sein Verdruss blieb - und das ist einer, den ich mit
ihm teile - dass es mancher Politiker nicht lassen kann, rassistische und antisemitische Vorfälle zu bagatellisieren.
"Gesicht zeigen", das mit der Zeit so etwas wie ein Synonym für Zivilcourage geworden ist, hat Paul Spiegel viel zu verdanken. Jetzt ist er tot. Doch die Erinnerung an ihn wird uns helfen,
nicht nachzugeben und weiter zu machen.
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