Kultur

Patrioten, die das Land nicht liebt

von Carl-Friedrich Höck · 11. Oktober 2013

Es geht um Juden im Ersten Weltkrieg, Patriotismus, Hoffnungen und ein falsches Happy End. „Süß und ehrenvoll“ heißt der erste Roman von Avi Primor. Am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse stellte der ehemalige israelische Botschafter ihn am Freitag vor.

„Ich suchte die Emotionen, die Gefühle, sonst hätte ich auch ein Sachbuch schreiben können“, sagt Avi Primor. Sachbücher hat der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland bereits viele geschrieben. Nun hat er sich für einen Roman entschieden, dem ebenfalls ausführliche Recherchen zugrunde liegen. Darin schildert er das Schicksal eines deutschen und eines französischen Juden. Im Ersten Weltkrieg kämpfen sie als Soldaten auf beiden Seiten der Front. Er habe den persönlichen Hintergrund der Menschen schildern wollen, sagt Primor.

„Die Juden haben den Ersten Weltkrieg als unverhoffte Chance empfunden“, erklärt er. Mit der Emanzipation im 19. Jahrhundert hätten sie zwar die juristische Gleichstellung erreicht, doch in der Gesellschaft seien sie weiterhin ausgegrenzt gewesen. „Nun sahen sie die Chance, sich als gute Patrioten zu beweisen. Sie hofften, anerkannt zu werden, indem sie ihr Blut fließen lassen“, so Primor.

Zum ersten Mal überhaupt hätten im Ersten Weltkrieg Juden auf allen Seiten gegeneinander gekämpft, fährt Primor fort. Er habe zu Beginn seiner Recherchen erwartet, dass damals die Frage diskutiert worden sei, ob Juden aufeinander schießen dürfen. Das Ergebnis habe ihn überrascht. „Diese Frage wurde gar nicht erst gestellt. Für die Juden war es selbstverständlich, Patrioten zu sein und sonst nichts.“

Die kommende Katastrophe sieht nur der Leser

Als ein „falsches Happy End“ bezeichnet Primor den Schluss seines Romans. Denn dort meinen die Protagonisten, ihr Ziel erreicht zu haben. Der Leser aber kennt den weiteren Verlauf der Geschichte und sieht den Holocaust kommen, von dem die Romanfiguren nichts ahnen.

Heute sind die Juden integrierter, als sie es damals waren. Als Primor am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse seinen Roman vorstellt, sitzt Peter Feldmann neben ihm. Der Frankfurter Oberbürgermeister ist ebenfalls Jude, doch im Wahlkampf habe das keine Rolle gespielt, sagt er. „Das interessiert in Frankfurt eigentlich niemanden“. Überhaupt sei Frankfurt am Main eine liberale, tolerante Händlerstadt, die immer davon gelebt habe, dass die Menschen miteinander auskommen.

Sein Großvater habe noch gesagt: „Lerne leiden, ohne zu klagen“, erzählt Feldmann. Dieser Satz würde heute keinen Zuspruch mehr finden, und er habe auch im Dritten Reich nichts genutzt. „Wer den Nazischergen das Eiserne Kreuz entgegengehalten hat, bekam 24 Monate Rabatt“, sagt er. Diese Juden seien einfach zwei Jahre später deportiert worden.

Feldmann: „nichts verleugnen!“

Man dürfe nichts verleugnen, sagt der Frankfurter Oberbürgermeister und verweist auf ein Beispiel aus der Gegenwart. In Frankfurter Schulen sei er vielen Schülern aus türkischen Migrantenfamilien begegnet – Kinder der vierten Einwanderergeneration, die kaum noch Türkisch sprechen.

„Ihnen ist es wichtig, perfektes Deutsch zu sprechen und perfektes Englisch“, hat Feldmann beobachtet. Er halte es aber für sinnvoll, wenn wenigstens ein Elternteil zuhause die türkische Sprache pflegen würde. Denn in einer internationalen Handelsstadt wie Frankfurt sei die türkische Sprache ein Vorteil. Man dürfe sich nicht klein machen. „Es geht um gelebte, praktizierte, alltägliche Humanität. Nur um das, und sonst um gar nichts.“

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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