Eine Region zum Träumen oder eher ein Albtraum? Volker Koepps Dokumentarfilm „In Sarmatien“ ergründet, wohin die Gesellschaften vor der östlichen Haustür der EU treiben.
Über manch einen Dokumentarfilm gehen die politischen Wogen hinweg, noch bevor er ausgestrahlt ist. Andererseits kann er gerade dadurch deutlich machen, worum es in den gegenwärtigen Diskussionen über das Thema, das er berührt, eigentlich geht. Um nicht zu sagen: Was in der aktuellen Situation auf dem Spiel steht.
Zu dieser Sorte von Dokumentarfilmen gehört „In Sarmatien“. Der Name geht auf Griechen, Römer und Byzantiner zurück und bezieht sich in etwa auf die Region zwischen Ostsee, Weichsel, Wolga und Schwarzem Meer: Also ein Gebiet, das im Zuge der Umwälzungen in der Ukraine und der Krimkrise die Nachrichten beherrscht wie schon lange nicht mehr. Im Gezerre um dieses Land offenbart sich dessen Zerrissenheit, die auch eine Folge der wechselhaften Geschichte ist.
Letztere war in Dokumentationen über die ukrainische Bukowina eingeflossen, mit denen Koepp einem breiteren Publikum bekannt geworden ist: „Dieses Jahr in Czernowitz“ (2003) und „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ (1999). In seinem neuen Film greift Koepp diese Fäden und einige Filmszenen wieder auf, frei nach dem Novalis-Motto „Alle Erinnerung ist Gegenwart“. Neben der Ukraine bereiste Koepp Moldawien, Weißrussland und das russische Exklaven-Gebiet Kaliningrad.
Traum und Wirklichkeit
Der 1944 geborene Filmemacher wandelt dabei auf den Spuren des Dichters Johannes Bobrowski, dem Sarmatien als ein „Traumland“ erschien, in dem „alle Völker und Religionen Platz fänden“. Die Realität sah meist anders aus: An die Tragödie(n), die der Landstrich im vergangenen Jahrhundert im Zeichen von Judenvernichtung, Krieg und Stalinschem Terror durchgemacht hat, erinnerte zuletzt der Historiker Timothy Snyder in seinem Buch „Bloodlands“.
Zu den Krisensymptomen von heute zählt beispielsweise die Gefahr, dass der Region die Menschen abhanden zu kommen droht, die für eine Zukunft in gesellschaftlicher Stabilität einstehen könnten oder sollten, insofern dies nicht längst geschehen ist. Das macht Koepp vor allem anhand von Moldawien deutlich: Nicht nur, aber gerade in den sonnensatten Dörfern der einst wohlhabenden Ex-Sowjetrepublik leben nur noch Alte und Kinder, weil die Eltern im Ausland schuften, um das Überleben der Familie zu sichern. Die Schauspielerin Ada, mit der Koepp dort unterwegs war, fürchtet, dass dadurch grundlegende Werte und Traditionen verloren gehen.
Von Auswanderern erzählt man sich auch in der ehedem multiethnischen Metropole Czernowitz im Südwesten der Ukraine. Eine von ihnen ist Tanja. Als Studentin ging sie nach Jena und gründete dort eine Familie. Bei einem Besuch vor Ort hält ihr Vater ihr vor, sie schaue auf ihr Heimatland mit seinen postsowjetischen Marotten und den kaputten Straßen wie eine „Europäerin“. Ein Teil Europas werde die Ukraine erst nach einem Beitritt zur EU sein, sagt er.
Doch Koepp zeichnet nicht nur ein düsteres Bild der Lage. In der Idylle des sommerlichen Czernowitz geben sich Tanjas Freundinnen, die geblieben sind, zuversichtlich, sich das im Leben zu holen, was sie brauchen, notfalls im Ausland.
„Es ist schön, nach Glück zu streben“, sagt Tanja. Diesen Satz würden wohl auch die anderen jungen Männer und Frauen unterschreiben, die zwischen Kaliningrad und Chisinau aus ihrem Leben erzählen, das oft einer Warteschleife gleicht: Weil sich vielleicht nur so die Gegenwart in einem korrupten oder autoritären Gemeinwesen ertragen lässt? Melancholischer schaut die Kaliningrader Filmfestival-Veranstalterin Elena auf die Verhältnisse im westlichsten Vorposten Russlands, der einst als „Schaufenster“ Richtung Europa gedacht war: Sie befürchtet, dass die Zeit für Veränderungen durch und für ihre Generation langsam knapp wird.
Landschaft und Mensch
Lang ist nicht nur der Atem der Geschichte, sondern auch der Landschaften, die Kameramann Thomas Plenert eingefangen hat. Mögen die sanften Hügelfelder Galiziens oder die Ufer der gemächlich dahinteibenden Memel auch reichlich Blut und Tränen aufgesogen haben, im Bild sind sie ganz bei sich. So werfen jene langen Einstellungen die Frage auf, wie eine Landschaft die Menschen formt.
Wenn Koepp Eindrücke von der Memel von heute mit Szenen aus den frühen 70er-Jahren gegenschneidet, als er deren Einzugsgebiet erstmals für den Film „Willkommen in Sarmatien“ besuchte, erscheint eine Kulturlandschaft als Konstante gegenüber all dem menschengemachten Chaos. Rauschende Baumwipfel, ein hypnotischer Wolkenhimmel und donnernde Meereswogen zeugen von der Sinnlichkeit dieser Aufnahmen, die gar nichts mit Kitsch, sondern viel mit einer atmosphärisch dichten Erzählweise zu tun haben. Mag sich deswegen beim Zuschauer mitunter eine gewisse Wohligkeit einstellen: Nicht nur in seinem gewohnt spröde vorgetragenen Off-Kommentar macht Koepp immer wieder deutlich, dass ein Happy End für diesen Raum des Übergangs noch lange nicht abzusehen ist.
Info: In Sarmatien (Deutschland 2013), Buch und Regie: Volker Koepp, Kamera: Thomas Plenert, OmU, 122 Minuten. Kinostart: 20. März
0
Kommentare
Noch keine Kommentare