Kultur

Osteuropa und die Frage nach Solidarität

Die Staaten des ehemaligen „Ostblocks“ wurden auf eine neoliberale Ordnung getrimmt. So lautet die Analyse Philipp Thers in seinem Buch „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“. Der Professor am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien hat am „vorwärts“-Stand auf der Frankfurter Buchmesse mit Dietmar Nietan, dem Schatzmeister der SPD, darüber gesprochen.
von Birgit Güll · 8. Oktober 2014
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Im Osten der Ukraine wird gekämpft, immer noch, trotz vereinbarter Waffenruhe. Das Land stehe am Abgrund, sagt Ther. „Die Friedensordnung in Europa können wir nicht mit militärischer Gewalt  durchsetzen“, so Dietmar Nietan. Deshalb setze der Westen auf Diplomatie und Gesprächsangebote. Optimistisch ist der Schatzmeister trotzdem nicht. Er befürchtet einen eingefrorenen Konflikt, eine Pattsituation, die über Jahre anhalten könne. Und trotzdem müsse der Westen eine rote Linie aufzeigen. Der Konflikt dürfe aber keinesfalls eskalieren, sagt Nietan.

Schocktherapie statt Reform

Doch wo liegen die Ursachen für Konflikte wie jenen in der Ukraine? „Wir haben zu wenig getan für die Einheit Europas – wirtschaftlich und politisch. Das fällt uns jetzt auf die Füße“, sagt Nietan. Der SPD-Schatzmeister ist auch Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft e.V. Die Menschen im Osten vermissten zurecht die Solidarität des Westens. Das schulmeisterliche „Macht es wie der Westen“ helfe nicht weiter. „Wo ist der Marshall-Plan Europas?“, fragt Nietan.

In den 1990ern wäre das Ausstrecken der helfenden Hand einfacher gewesen als heute, mit dem aggressiv agierenden Russland, unterstreicht Ther. Das Problem seien auch nicht die Reformen an sich gewesen, sondern, dass sie stets als alternativlos verkauft worden seien. Mehr noch, sie seien stets als Schocktherapie verordnet worden, am radikalsten in der ehemaligen DDR, so der Historiker.

Und wieder Einigkeit unter den Kennern Osteuropas, dem Historiker und dem Politiker: „Die Ignoranten im Westen löffeln jetzt die Therapie aus, die sie dem Osten angedeihen ließen“, sagt Nietan. Genau deshalb sei Thers Buch ein Buch über uns, über den Westen. Es gelte Lehren daraus zu ziehen: Moderne Politik müsse Europa als Ganzes denken – über die 28 EU-Mitgliedsstaaten hinaus. „Alles was wir aus Ignoranz nicht tun, holt uns ein.“

Philipp Ther: „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 430 Seiten, 26,95 Euro, ISBN 978-3-518-42461-2

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Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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