Jahrzehntelang hat Österreich seine Vergangenheit nicht nur ruhen lassen, sondern diese auch verdrängen wollen. Dennoch flackerten immer wieder Diskussionen über die Jahre 1938 bis 1945 auf,
so zum Beispiel während der Waldheim-Affäre in den 80er Jahren. Doch erst 1991 bekannte Bundeskanzler Vranitzky, als erster Politiker Österreichs, eine Mitschuld an den nationalsozialistischen
Verbrechen.
Literatur über das Thema "Nationalsozialismus und Österreich" gab es bis in die 90er Jahre hinein nur spärlich. Gerhard Botz, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Wien, war
einer der ersten, die sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzten. Unlängst kam die 4. Auflage seines Standardwerks "Nationalsozialismus in Wien" über die ersten Jahre Österreichs, speziell
Wiens, während des Nationalsozialismus heraus Die erste Auflage seines Werkes war bereits 1978 unter dem Titel "Wien vom 'Anschluss' zum Krieg" erschienen.
Begeisterte Anhänger oder naive Verführte?
Das Ende des 1. Weltkrieges hatte auch das Ende des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn besiegelt. "…die (Deutsch-) Österreicher mussten sich in ihrem Kleinstaat einrichten. Dennoch
blieben die Anschluss-Tendenzen immer mehr oder weniger lebendig und führten schon 1918/1919 und 1921 zu Versuchen, den Anschluss mit demokratischen Mitteln herbeizuführen - sei es durch einen
Zusammenschluss mit der Weimarer Republik, sei es dadurch, dass sich die Bundesländer einzeln an Deutschland anschlossen", so Botz.
Bis zum tatsächlichen "Anschluss" im März 1938, kennzeichneten wirtschaftliche und politische Krisen Österreich. Der 1934 ermordete autoritäre Bundeskanzler Dollfuß, sowie sein Nachfolger
Schuschnigg waren um die Unabhängigkeit des Landes bemüht, doch der außenpolitische Druck wuchs, als der italienische Verbündete Mussolini ausstieg. Eine Annäherung an Deutschland erschien als
Ausweg. Schritt für Schritt entzog Hitler Schuschnigg die Regierungsgewalt. Bis schließlich am 12. März 1938 deutsche Truppen in Österreich einmarschierten - von der Bevölkerung teilweise
begeistert empfangen. Botz zitiert den englischen Journalisten George E. R. Gedye zur Situation in Wien: "Es war ein unbeschreiblicher Hexensabbat- Sturmtruppleute, von denen viele kaum der
Schulbank entwachsen waren, marschierten mit umgeschnallten Patronengürteln und Karabinern, als einziges Zeichen ihrer Autorität die Hakenkreuzbinde auf dem Ärmel… Männer und Frauen brüllten
hysterisch den Namen ihres Führers… Die Luft war voll der Geräusche des heillosen Spektakels, und nur hin und wieder konnte man einzelne Schreie, wie "Nieder mit den Juden! Heil Hitler! Sieg
Heil! Juda verrecke…unterscheiden."
Literatur nicht nur für Historiker
Von der "Machtergreifung" über die Gleichschaltung von Behörden, privaten und öffentlichen Unternehmen, der Presse bis hin zur Judenverfolgung unterzieht der Autor die Rolle Wiens während
der Jahre 1938 und 1939 einer kritischen Betrachtung. Ergänzend fügt er Kurzbiographien wichtiger Personen hinzu. Beeindruckend ist die Fülle seiner bibliographischen Angaben. Der für das Thema
"Österreich während des Nationalsozialismus" interessierte Leser kann sich so umfassend informieren und findet sich gut zurecht. Das Buch ist in all seinen Einzelheiten nicht nur spannend für
Historiker. Es ist auch für Laien verständlich und trägt zur Aufklärung über ein wichtiges Thema bei.
Botz, Gerhard: Nationalsozialismus in Wien: Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung / 1938/39, mandelbaum verlag 2008, 734 S., 29,80 Euro, ISBN: 978-3-85476-252
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