Ost-West-Romanze mit der DDR als Klischee-Kulisse
KevinLeeFilm - Meike Birck
Im Jahr 1986 reist die 17-Jährige Anna mit einer Kirchengruppe von Holzminden nach West-Berlin. Wie so viele Jugendliche damals. In der Sowjetunion keimte Reformstimmung auf, doch die Berliner Mauer wirkte so abschreckend wie eh und je. So besichtigen auch Anna und ihre Mitreisenden den „antifaschistischen Schutzwall“ mit Grusel und Faszination. Ansonsten locken die Hausbesetzer-Szene in Kreuzberg und das legendäre, sperrstundenfreie Nachtleben.
Auf dem Programm steht auch der Besuch bei einer Partnergemeinde in Ost-Berlin. Die Stunden bei einem regimekritischen Pfarrer werden Annas Leben von Grund auf verändern. Als Philipp, der Sohn des Pfarrers, das Wohnzimmer betritt, ist es für beide Liebe auf den ersten Blick. Doch hat diese Liebe überhaupt eine Chance?
Jugendperspektive auf die DDR hat Potenzial
Der Ansatz, Schicksale rund um die deutsche Teilung aus der Sicht von Jugendlichen zu erzählen, hat seinen Reiz. Besteht hier doch die Chance, einen Coming-of-Age-Handlungsstrang mit dramatischer Zeitgeschichte zu verknüpfen und wegen der fehlenden Erwachsenenperspektive wesentlich unvoreingenommener auf den historischen Kontext zu blicken. Besonders neu ist dieser Fokus hingegen nicht, man denke etwa an Produktionen wie „Westwind“ von 2011.
Zweifelsohne bietet die Geschichte von Anna und Philipp, die auf dem autobiografischen Jugendbuch von Katja Hildebrand beruht, durchaus besonderes Potenzial. Schließlich geht es auch darum, wie zwei junge Menschen aus verschiedenen politischen Systemen einander näherkommen. So gibt es bei aller emotionalen Wucht zunächst auch viel Fremdheit zwischen den beiden, weil der eine eben nicht jeden Code und die Erfahrungswelt des anderen kennt. Der Moment in der Pfarrerswohnung, als die Kids aus dem Westen von ihren Auslandsreisen schwärmen und die Ossis wortlos danebensitzen, zählt zu den berührendsten dieses Films.
Allzu lange hält sich „Zwischen uns die Mauer“ mit derlei Nuancen aber nicht auf. Schnell nimmt die Handlung Kurs auf ein Liebesdrama unter denkbar ungünstigen Bedingungen. Berauscht von ersten romantischen Momenten, reist Anna erneut nach Ost-Berlin. Beide wollen ihre Liebe um jeden Preis ausleben. Anna erwägt sogar, in die DDR zu ziehen. Den Arbeiter-und-Bauern-Staat stellt dieser Film allerdings denkbar wenig einladend dar. Die grimmigen Stasi-Grenzer, vergammelten Altbaufassaden und ein schmales Angebot im Konsum um die Ecke sprechen Bände. Genauso stellen sich viele Westdeutsche bis heute die DDR vor. Das alles gab es tatsächlich, doch eben auch mehr als das. Die Szenerie hätte weniger abziehbildmäßig ausfallen sollen.
Ob Stasi-Knast oder Passkontrolle: Viele dieser an sich sorgsam vorbereiteten Szenen sind im Ergebnis arg didaktisch. Kaum Raum für Zwischentöne. Als müsste man vor allem der jüngeren Generation mit allen Mitteln deutlich machen, wie (schlimm) die DDR wirklich war. Möglicherweise hat Hubertus Knabe, der umstrittenen Ex-Direktor der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, als Fachberater Spuren hinterlassen. Jener Anspruch wird allerdings, aufs Ganze betrachtet, nicht eingelöst.
DDR-Darstellung bleibt eindimensional
Der Fokus liegt ganz klar auf der Liebesgeschichte. Als strahlendes Gegenbild zur sozialistischen Tristesse erleben wir Anna und Philipp in ihrem zarten Glück, das – auch dank geschickter Lichteffekte – sogar die grauen Fassaden überstrahlt. Man muss sagen, dass Lea Freund (Anna) und Tim Bülow (Philipp) die emotionale Achterbahnfahrt zwischen unerfüllter Sehnsucht, Liebeswonnen und bewegenden Abschieden hinreißend spielen und sich die Figuren nahezu klischeefrei entwickeln. Auch der Blick auf damalige Kommunikationswege stimmt nachdenklich: Briefe, die die Stasi natürlich mitliest, bilden über Monate die einzige Verbindung zwischen den beiden Liebenden – heute wohl undenkbar.
Es ist abzusehen, dass die Verliebten irgendwann die Kontrolle über die Situation verlieren. Eine gemeinsame Zukunft erscheint Philipp nur möglich, wenn er die Flucht wagt. Zu diesem Zeitpunkt ist das Paar längst im Visier der Staatssicherheit. Nach einer Nacht im Stasiknast scheint alles verloren. Doch ein paar Jahre später fällt die Mauer.
Vielleicht lässt sich ein jüngeres Publikum durch „Zwischen uns die Mauer“ dafür begeistern, sich mit deutsch-deutscher Geschichte und der Tatsache zu beschäftigen, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist. Ansonsten werden wir erneut mit einem verengten filmischen Blick auf die DDR konfrontiert, in dem auf der einen Seite nur Stützen des Systems und auf der anderen Seite, wenn auch im weitesten Sinne, Dissidenten Platz finden.
„Zwischen uns die Mauer“ (D 2019), ein Film von Norbert Lechner, mit Lea Freund, Tim Bülow, Franziska Weisz, Götz Schubert u.a., 110 Minuten. Ab sofort im Kino.