Kultur

Optimisten glauben an den Völkerbund

von Dorle Gelbhaar · 4. Mai 2009
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Der Speisewagen füllt sich langsam. Ganz hinten rechts hat ein verliebtes Pärchen Platz genommen, das weniger an der Speisekarte interessiert zu sein scheint als daran, sich wechselseitig mit Blicken zu vernaschen. Sie trägt ein entzückendes Oberteil, das einen süßen, kleinen Busen offenbart.


Die anderen Gäste nehmen Platz, machen sich miteinander bekannt, lassen sich den angebotenen Sekt munden und dann geht es auch schon los. Auf der kleinen Bühne unmittelbar vor ihnen ist der Perron aufgebaut. Gleich wird ein Zug eintreffen. Zwei Gepäckträger tauschen sich darüber aus, dass Langsamkeit die ihnen angemessene Lebensform sei. Auch in Italien und England spränge man nicht gleich, wenn die Reisenden nach den Trägern riefen. Das Künstlerteam artdeshauses ist mitten im Spiel hier im Salon des Berlin Story Verlages und dass Publikum spielt bei - vorzüglichen - Speisen und Getränken mit.

Berlin 1932
1932 saß der Urheber der Revuette - das Stück vereinte Elemente von Operette, Revue und Kabarett und wurde deshalb von ihm liebevoll so genannt - selbst am Klavier. An eben diesem Ort bekam er zu spüren, wie genau der Titel seines Stücks die Situation bezeichnete. Ein Nazi spie ihm auf die musizierenden Hände.
Friedrich Hollaender war ein jüdischer Deutscher und seine Revuette barg neben harmlosen Tändeleien, Spötteleien und Berliner Possen unverkennbare Spitzen gegen völkischen Nationalismus, Obrigkeitsdenken und Auflösungserscheinungen der Demokratie in sich.

Verbote, Verbote, Verbote
Von der geheimen Lust, die Notbremse zu ziehen, wird gesungen. Im Ballett der Verbote wird deutscher Regelungswahn persifliert und in Gesang und Tanz der Strohwitwen sich über bürgerliche Doppelmoral, sowie im Spiel der sächsischen und der angelsächsischen Wandergruppen über die Angst vor dem Fremden amüsiert. Hier sind es übrigens einmal die Engländer, die bei sich daheim alles größer und bedeutender finden. Die Sachsen hingegen brüsten sich damit, überall zu sein - selbst dort, wo man nicht leben zu können glaube.

Last und Lust des Fremdenverkehrs
Die Wandernden immerhin verbrüdern sich - nach anfänglicher Furcht voreinander - am Ende; die Herren stecken ihre Köpfe über Porno-Bildern zusammen. Was wäre die Welt ohne den Fremdenverkehr? Die kleinen Ängste am Anfang der Reise lassen die Langeweile des Abarbeitens von Bildungserlebnissen und des ewigen Vergleichs mit Zuhause enden. Schließlich seien die Engländer und die Deutschen doch alle Angel-Sachsen. Da wird es auch für den einheimischen Wanderleiter leichter.

Bloß nicht nach Nazedonien
Wohin wird der Zug fahren? Hoffentlich nicht nach Nazedonien. "Optimisten glauben an den Völkerbund", heißt es im Stück. Hat Hollaender selbst diese Hoffnung noch? 1933 stirbt sie mit der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland. Ihm gelingt es zu fliehen. Seine Mutter hat ihn in letzter Minute noch warnen können.

Flucht

Mehr als 200 Filmmusiken hat Hollaender in Hollywood, wohin er über Frankreich gelangt war, komponiert. Der Mann, der mit Chansons für Blandine Ebinger und Trude Hesterberg und Liedern für "Der blaue Engel" wahre Ohrwürmer geschaffen (z. B. "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt"), der Kabarettrevuen geschrieben, musiziert und getextet hatte und den Charly Chaplin in Anspielung auf dessen Körpergröße den "großen kleinen Friedrich" nannte, konnte an seine Karriere in Deutschland anknüpfen. Die Kabarettrevue "Höchste Eisenbahn" allerdings ging zunächst verloren.

Hollaender heute
1955 nach Deutschland zurückgekehrt starb Hollaender 1976 in München. Es ist dem Künstlerteam artdeshauses zu verdanken, dass die Revuette überlebte. Auf Basis des 1996 im Nachlass einer Kostümbildnerin gefundenen Original-Textbuches sowie Notenskizzen von Hollaender aus den 60er Jahren brachte es die "Höchste Eisenbahn" wieder zur Aufführung.

Wieder in Berlin
Das Spiel ist vorbei. Das vorzügliche Menü gegessen. Der Speisewagen-Theatersaal leert sich rasch. Die Gäste haben ihre Getränke bezahlt. Eine will nur noch ihr Glas Rotwein nicht allzu rasch austrinken. "Wenn Sie noch etwas bestellen, können Sie gern noch sitzen bleiben", erklärt die Kellnerin. Höchste Eisenbahn - endlich wieder in Berlin.

Dorle Gelbhaar

Friedrich Holländers Revuette "Höchste Eisenbahn" wird noch am 14. und 15., 29. und 30. Mai dieses Jahres im Berlin Story Salon gespielt. Beginn: 20.00 Uhr, 59,90 Euro inklusive 3-Gänge-Menü; 29,00 Euro/ 26,00 Euro ermäßigt als Revue pur, Berlin Story Salon, Unter den Linden 26, 10117 Berli, Salon@BerlinStory.den

Autor*in
Dorle Gelbhaar

ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.

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