Kultur

Oberlehrerhafte Parteienschelte

von ohne Autor · 7. September 2009
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"Hütet euch vor alten Männern, denn sie haben nichts zu verlieren": Dieser Satz des Publizisten Peter Scholl-Latour geht einem während der Lektüre von Heinz Verfürths Streitschrift gegen den Niedergang der politischen Kultur nicht aus dem Kopf. Als Pensionär hat der frühere Chefredakteur der "Mitteldeutschen Zeitung" und "Stern"-Journalist in der Tat nicht viel zu verlieren. Umso unklarer ist, was sich der 73-Jährige von seinem bereits zweiten Werk zur Eliten-Kritik verspricht. Im Gegensatz zu Scholl-Latour hält sich der Unterhaltungswert oder gar Erkenntnisgewinn der vorgelegten Auslassungen in Grenzen.

Anstatt mit analytischer Schärfe oder kreativer Polemik zu punkten, hinterlässt der Text den Eindruck, der Autor habe sich all den Frust von der Seele schreiben wollen, der sich während seiner Zeit als - um Objektivität bemühter - Printjournalist angestaut hat. Offenbar hat ihm diese Tätigkeit so zugesetzt, dass er mit seinem Ärger über Parteien und Lobbyisten mehrere Bücher fühlen kann.

Nicht etwa, dass Verfürth mit seiner Analyse grundsätzlich danebenliegt: Sinkende Wahlbeteiligung und zurückgehende Mitgliederzahlen, insbesondere der Volksparteien, lassen in der Tat eine Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung vermuten. Auch den Ruf nach mehr Transparenz in der Personal- und Sachpolitik der Parteien und Regierungen, gerade im Zusammenhang mit den jüngsten Konjunkturpaketen, teilen viele politische Beobachter, was auch für das Hoffen auf mehr Bürgerengagement gilt.

Ungenaue Analysen

Doch das ist genau das Problem: Verführt knöpft sich ein Schlagzeilen-Thema nach dem anderen vor, um den Verfall dessen, was er schwammig als politische Kultur bezeichnet, zu beklagen und garniert seine Betrachtungen mit allerlei Zitaten, die seine Tiraden untermauern sollen, aber mitunter völlig aus dem Zusammenhang gerissen sind. So bemüht er Bertolt Brechts bittere Frage, ob sich die Regierung nicht besser ein anderes Volk wählen möge, weil dieses das Vertrauen der Führung verscherzt habe. Brecht hatte diesen Gedanken in einem Gedicht über den Volkaufstand in der DDR im Jahr 1953 formuliert. Dass Verfürth den Satz auf Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit ummünzt, um dessen Haltung gegenüber Volksentscheiden zu kritisieren, belegt die intellektuelle Beliebigkeit dieses Pamphlets, das weitgehend ohne eigenständige Argumente oder sprachliche Originalität auskommt.

Nicht zu reden von der wieder aufgewärmten Kritik an der früheren hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti, die der Autor als Beispiel für die in seinen Augen weit verbreitete Politiker-Attitüde aufführt, den Weg zur Macht über das Wählervotum zu stellen. Dass es zur Aufgabe von Volksvertretern gehört, im demokratischen Spektrum nach neuen Mehrheiten zu suchen, gerade wenn es darum geht, eine abgewirtschaftete Regierung, wie die unter Ministerpräsident Roland Koch, abzulösen, geht in dieser Oberlehrer-Perspektive unter.

Schlussendlich macht neben der Schlampigkeit bei der Handhabung von Jahreszahlen der unterentwickelte Blick auf Alternativen den vollmundigen Deutungsanspruch des "Schwarzbuchs" obsolet.

Unterm Strich sind einige Hinweise auf politische und gesellschaftliche Missstände in Ansätzen nachvollziehbar. Deren Substanz reicht jedoch allenfalls für einen Zeitungskommentar.

Heinz Verfürth, Schwarzbuch Politik. Gegen den Ausverkauf der politischen Kultur. Gütersloher Verlagshaus, 159 Seiten, ISBN 978-3579068916 , 14,95 Euro. Hier bestellen...

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