Kultur

Notizen über Pferde, Literatur und Walter Ulbricht

von Dorle Gelbhaar · 17. September 2012

100 Jahre alt wäre der Schriftsteller Erwin Strittmatter am 14. August dieses Jahres geworden. Seine neu herausgegebenen Tagebücher aus den Jahren 1954 bis 1973 lassen deutsche Geschichte aus dem Blickwinkel eines DDR-Bürgers lebendig werden. 

„Ochsenkutscher“,„Ole Bienkopp“, „Pony Pedro“, um einige seiner zahlreichen Werke zu nennen. Der am 14. August 1912 im brandenburgischen Spremberg als Sohn einer einfachen Familie geborene Erwin Strittmatter war produktiv. Sich und anderen bewies er schon ab vier Uhr früh seine eiserne Arbeitsdisziplin. Er schrieb, züchtete Pferde, arbeitete auf seinem Hof.

Hoffnung DDR

Der Schulzenhof bei Dollgow in Brandenburg ist ihm ab 1954 das Domizil für sein unermüdliches Schaffen. Am 31. Januar 1994 stirbt er dort. Um seine literarische und biographische Hinterlassenschaft ist es seitdem nicht still geworden.

Mit den soeben veröffentlichten Tagebuchnotizen Strittmatters landet man mitten im sich entwickelnden DDR-Leben. Man liest vom Agieren jener an der Spitze ebenso wie von den Problemen einfacher Leute. Zwiespältigkeiten beschreibt Strittmatter aus seinem Blickwinkel. 

In der Chronik im Anhang des Buches ist nachzulesen, dass Erwin Strittmatter während des Zweiten Weltkriegs in einem Polizeibataillon diente, das auch zur Partisanenbekämpfung eingesetzt wurde. Er habe keinen Schuss abgegeben, erklärte Strittmatter. Zu den Widerstandskämpfern gehörte er allerdings auch nicht.

Schriftsteller und Pferdezüchter

In der DDR wollte er nun nicht passiv sein. Er wollte mitverhindern, dass es je wieder Faschismus und Krieg gäbe. Das ist es, was ihn sich engagieren ließ. Er ist Schriftsteller, zugleich lebt er ein bäuerliches Leben, ist als Pferdezüchter Teil der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) in der Nachbarschaft. Zum Arbeiter- und Bauern-Staat DDR passte das.

Das bäuerliche Handwerk verstand er genau wie das Schreiben, darauf war er stolz. Gleichzeitig überlegte er, ob seine landwirtschaftliche Tätigkeit die literarische Tiefe verhindern könne. Seiner Arbeit als Schriftsteller ordnet er alles andere unter. Pferde zu dressieren,hält er für einfacher, als seine Kinder zu erziehen. Es sei weniger zeitfressend, schreibt er. Dass seine dritte Ehefrau Eva, die später international bekannte Dichterin, ihm die gesamte Schulzenhofer Zeit über als persönliche Lektorin und Kritikerin zur Verfügung steht, hält er für selbstverständlich. 

Innere Widersprüche

Sein politisches Weltbild gerät ins Wanken, als auf dem XX. Parteitag der KPdSU in Moskau 1956 die stalinistischen Verbrechen enthüllt werden. Der Autor fragt sich, warum die erfahrenen deutschen Kommunisten das zugelassen hätten. Hier Opfer des Faschismus – dort Opfer des Stalinismus. Strittmatter wartet darauf, dass die Widerstandskämpfer aus dem Zweiten Weltkrieg sich nun an die Spitze eines wirklichen Neuanfangs setzen.

Den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht will er stürzen sehen. Doch der steht bis 1971 an der Spitze der DDR. Ohne jede literarische Sachkompetenz maße er sich an, Urteile über Literatur zu fällen, schreibt Strittmatter in seinen Tagebüchern. Seine Kritik an der Parteibürokratie beschränkte Strittmatter nicht auf seine privaten Notizen. Er macht sie in vielen seiner Bücher deutlich. Strittmatter glaubt fest daran, dass es einen menschlichen und demokratischen Sozialismus geben könne.

Interessante Widersprüche

Der Autor schreibt aus Sicht der einfachen Leute. Volksverbunden und unterhaltsam soll Literatur für ihn sein, hier stimmt er mit der SED-Führung überein. Diesen Anspruch stellt Strittmatter auch an andere. Von Dichtern wie Kafka hielt er nichts. An Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“ bekrittelte er, dass er nicht unterhaltend sei. 

Strittmatter ist eine literarische Instanz in der DDR. Seine Entwicklung da hin hält er den vorliegenden Tagebüchern fest. Er ist kein passiver Beobachter. Er positioniert sich, vertritt seine Ansichten. Strittmatter ist ein Sturkopf, der sich von bürokratischen Hürden und ideologischen Grabenkämpfen nicht beirren lässt. Das macht ihn seiner (nach 1989 noch gewachsenen) Leserschaft sympathisch. Dass er ein widersprüchlicher Mensch war, zeigen seine Tagebücher. Eben das macht sie interessant. Wenn man auch nicht alles erfährt, was hinter den Kulissen geschah, sind diese Notizen lesenswert.

 

Erwin Strittmatter: „Nachrichten aus meinem Leben. Aus den Tagebüchern 1954 – 1973“, Aufbau Verlag, Berlin 2012, 601 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3-351-03392-7

Autor*in
Dorle Gelbhaar

ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.

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