Kultur

Normal irre oder irre normal?

von Thomas Köcher · 1. Oktober 2009
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Mit seinen Werken "Lebenslust" und "Gott - eine kleine Geschichte des Größten" wurde der Rheinländer Dr. Manfred Lütz populär. Im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin-Mitte stellte er sein neuestes Buch vor. Genauer gesagt: Er ließ es vorstellen. Er hatte die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und den Publizisten Henryk M. Broder eingeladen, sein Werk öffentlich zu rezensierten.

Menschenwürde bis zum Ende


Schmidt attestierte ihm, dass es selbst bei aufgeklärten Menschen viele Vorurteile gäbe. Auf 180 Seiten vermittele Lütz auf äußerst humorvolle Art und Weise das Wesentliche der Psychologie. Es sei eine heitere Seelenkunde und zugleich eine seriöse Arbeit. Und es enthalte viele sozialkritische Punkte, führte Schmidt weiter aus.
"Wir alle haben Macken und Vorlieben. Wir benötigen allerdings eine neue Sichtweise, wie wir mit psychisch Kranken umgehen. Die Menschenwürde endet nicht mit dem Verlust der kognitiven Intelligenz," erklärte die Gesundheitsministerin. Es sei notwendig, die Teilhabe und Wahlfreiheit des Patienten zu stärken. Dessen Wille müsse in den Mittelpunkt gerückt werden. Jeder Mensch solle sich bis in die letzte Phase seines Lebens selbst bestimmen können, forderte Schmidt.

Kein Verriss

"Ich habe das Buch ganz gelesen und das ist ein Wunder. Normalerweise höre ich nach den ersten 20 oder 30 Seiten auf und beschwere mich darüber, dass mir der Autor meine wertvolle Lebenszeit gestohlen hat. Dieses Buch ist aber sehr gut. Ein ganz großes Kompliment von meiner Seite," lobte Henryk M. Broder, der für seine spitze Zunge bekannt ist. Das Buch sei sehr klar, verständlich und aufschlussreich geschrieben. Er habe sich an vielen Stellen selbst wieder erkannt. Nach dieser Lektüre, werde man sogar mit Claudia Roth Mitleid haben, sagte Broder humorvoll.

Die Entstehungsgeschichte

"Ich habe beruflich mit vielen psychisch Erkrankten zu tun. Das sind eigentlich ganz nette, sensible Menschen. Komme ich allerdings nach Hause und schalte den Fernseher ein, dann sehe ich: Terroristen, Gewalttäter, Kriegshetzer, Wirtschaftskriminelle und so weiter. Da habe ich mich folgendes gefragt: Wer sind die wahren Psychopaten?" erklärte Lütz. Die großen Verbrecher der Weltgeschichte wie Stalin und Hitler seien nicht verrückt, sondern "normal" gewesen.

Neues Gesundheitsbild

Heute werde zu vielen Menschen attestiert, sie seien psychisch krank, dabei stimme dies häufig gar nicht. Auf der einen Seite müssten wir aufpassen, dass unsere Gesellschaft nicht wehleidig werde und die Leute bei jedem "Wehwechen" zum Arzt rennen. Diese Patienten nehmen den "echten" Kranken die Plätze weg. Auf der anderen Seite würden Krankheiten wie Depressionen häufig nicht ernst genommen.

"Der heutige Gesundheitsbegriff ist ein utopischer. Er geht vom perfekten Menschen aus. So wäre ich selbst gern. Wir müssen lernen, ein pragmatischeres Gesundheitsbild zu verfolgen. Das Buch klärt auf eine sehr humorvolle Art auf, was ,psychisch krank' bedeutet," betonte Lütz. Er forderte auf, dass die Gesellschaft mit den mental Erkrankten normal umgehen solle. "Man fragt sich: Sind wir gaga oder sind die es?" ergänzte Broder. Lütz warnte vor einer "Diktatur der Normalität". "Wir alle haben ein Anrecht auf unsere Macken und Eigenheiten," meinte er.

Ulla Schmidt und Henryk M. Broder empfehlen sein Buch uneingeschränkt. Damit schließen sie sich dem und berühmten Kabarettisten und Arzt Eckart von Hirschhausen an. Der erklärt im Vorwort "Dieses Buch ist eine spannende und höchst vergnügliche Entdeckungsreise durch die ganze faszinierende Psychowelt."


Manfred Lütz - Irre! Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen. - Gütersloher Verlagshaus - 208 Seiten - 17,95 Euro - ISBN: 978-3-579-06879-4

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Autor*in
Thomas Köcher

Ich studiere Kulturwissenschaften an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt (Oder) mit den Schwerpunkten Kulturgeschichte und Sozialwissenschaften. Ich lerne dort ebenfalls Englisch und Spanisch. In meiner Freizeit bin ich "ganz normal" wie andere auch: Ich spiele Fußball, gehe gerne weg oder verbringe Zeit mit meinen Freunden.

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