Kultur

Noch besser als der „Schwiegertommy“

von Dagmar Günther · 16. Januar 2006

Hedwig Pringsheim wird 1855 als Tochter des Journalisten Ernst Dohm und der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm in Berlin geboren. Den von Hause aus kulturell ambitionierten Backfisch zieht es auf die Bretter, die die Welt bedeuten. In jungen Jahren spielt sie als "kleine Naive" am Meiningen Theater, allerdings mit eher mittelmäßigem Erfolg. Ihre Heirat mit dem millionenschweren Mathematikprofessor und Kunstmäzen Alfred Pringsheim indes bringt sie auf eine Bühne, die ihr mehr liegt: In München erobert sie die Herzen der Prominenten aus Kultur und Politik. Das glanzvolle Palais der Pringsheims wird zum Wallfahrtsort für Maler, Musiker, Literaten, Schauspieler, Bankiers und Politiker.

"Ja, Alfred und Hedwig Pringsheim galten etwas in der Bayerischen Metropole. Ihre in relativ jungen Jahren vollbrachten Anstrengungen, Anschluss an die kulturell führenden Kreise zu finden, hatten Erfolg gehabt. Und das lag nicht nur allein im ererbten Reichtum, der ihnen die Großzügigkeit der Lebensführung leicht machte. Es waren Esprit und Urbanität des kunstbeflissenen Professors und ebenso die Schönheit, Klugheit, und vor allem, das Konversationstalent seiner Frau, die Münchens erste Kreise ins Arcisstraße-Palais zogen."

Hier kommen ihre fünf Kinder auf die Welt. Hier macht Thomas Mann der einzigen Tochter des Hauses Katia den Hof. Hier toben die Enkel durch die prunkvollen Säle.

Enkel Klaus Mann beschreibt seine Großmutter später als "eine verführerische Mischung aus venezianischer Schönheit à la Tizian und problematischer grande dame á la Hendrik Ibsen". "Sie beherrschte die in unserem Jahrhundert seltene Kunst vollendeter Konversation, wobei sie ihre geübte Beredsamkeit gern mit Kaskaden perlenden Gelächters begleitete. Sie wusste immer amüsant und originell zu sein, - ob sie nun über Schopenhauer oder Dostojewski plauderte oder über die letzte Soiree im Hause der Kronprinzessin."

Mit Mann und Kindern radelt Hedwig durch Europa. Allein besucht sie den vom Vater nach Argentinien verbannten Sohn Lieblingssohn Peter. Sie ist eine unverbesserliche Optimistin und beherrscht die Kunst des Verdrängens außerordentlich

Als Hitler und die Nationalsozialisten Anfang 1933 an die Macht kommen, denkt sie, dass der Spuk bald vorbei sein wird. Aber sie irrt."Über uns schwebt ein Damoklesschwert; und unter Damoklesschwertern ist nicht gut sein. Man will nämlich scheints die ganze Arcissi okkupieren", hält sie ein halbes Jahr später in ihrem Notizbuch fest. Tatsächlich haben die Nazis ausgerechnet das Pringsheim-Palais zum Parteibau auserkoren. Und so wird Alfred Pringsheims Geburtstag am 2. September zum Abschiedsfest im seit 43 Jahren vertrauten Ambiente. Sie ziehen in die Maximilianstraße.

Eine Zeit der Demütigungen und Schmähungen und der Enteignung durch die Nazis beginnt für die jüdische Familie Pringsheim. Und doch können Hedwig und Alfred sich nicht entschließen, das Land zu verlassen. Sie folgen weder Tochter Katia nach Princeton, noch Enkel Golo in die Schweiz "Das Leben am Maximiliansplatz unterscheidet sich nicht wesentlich von dem in der Acisstraße" versucht Hedwig ihre Tochter zu beruhigen. Doch Mitte Februar 1936 stirbt der Besitzer des Hauses, Geheimrat Dr. Siegfried Drey, Inhaber der Kunsthandlung A.S. Drey, treuer und zuverlässiger Berater der Pringsheims in Sammlungsangelegenheiten. Auch sein Haus wird von der NSDAP übernommen.

Hedwig bleibt unverdrossen. Ihre Würde lässt sie sich nicht rauben. Zum 1. April 1937 beziehen die Pringsheims eine kleinere Wohnung in der Widenmayerstraße, direkt an der Isar. Hedwig konzentriert sich auf den Verkauf (oder eher das Verschleudern) der Kunstschätze, Bücher und Sammlungen. Nur weniges kann sie zu den Kindern und Enkeln ins Ausland schicken. Zwei Wochen nach der Diamantenen Hochzeit der Pringsheims im Jahre 1938 brennen in der Nacht vom 9. auf den 10. November auch in München die Synagogen. Fast alle verbliebenen, noch an die Acisstraße erinnernden Kunstschätze werden beschlagnahmt. Hedwig und Alfred dürfen nicht mehr reisen. Auf ihren Ausweisen prangt ein riesiges "J".

Als zu Beginn des Jahres 1939 schließlich auch ihr Domizil an der Isar von den Nazis besetzt wird, beschließen die Pringsheims endlich auszureisen. Doch die Genehmigung lässt auf sich warten. Es gib keinerlei Hinweise in Hedwigs Notizen, von welchem Moment an sie sicher sein konnten, dass sie Deutschland verlassen durften. Aber, welche Ironie der Geschichte? Am Ende ist es ein SS-Sturmführer, der die Flucht in letzter Minute ermöglichte, indem er persönlich nach Berlin aufs Ministerium ging. "2 Tage darauf hatten wir unsere Pässe! So dass wir nun in fliegender Eile unsere Sachen in Ordnung brachten und am 31. Oktober in Zürich eintreffen konnten. Einen Tag später war der letzte Einreistermin abgelaufen und die Schweiz uns verschlossen.", schreibt Hedwig an ihre Tochter Katia.

Inge und Walter Jens finden heraus, wer Hedwigs "gottgesandter Lohengrin" und Retter in der Not war. Hedwig Pringsheims Notizbücher sowie die Briefe, die sie zeitlebens an den Schriftsteller Maximilian Harden und an ihre Tochter Katia, die Frau von Thomas Mann, schrieb, waren für die Autoren ein riesiger Fundus, aus dem sie gekonnt zu schöpfen wussten. Die Auszüge daraus machen "Katias Mutter" zu einem Lesevergnügen der besonderen Art. "Ihre witzig-präzisen, je nach Stimmung und Weltlage elegisch-anrührenden oder süffisant-gegenläufigen Charakterisierungen von Menschen und Konstellationen stellen nicht selten sogar die Schreibkünste ihres 'Schwiegertommy' in den Schatten" verheißen die Chronisten. Und sie versprechen nicht zu viel. Nach ihrem Bestseller "Frau Thomas Mann" legen Inge und Jens Walter mit "Katias Mutter" noch eins drauf.

Dagmar Günther

Inge und Walter Jens: Katias Mutter. Das außerordentliche Leben der Hedwig Pringsheim, Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, 286 Seiten, ISBN 3-498-03337-9

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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