Zum einen schildern sie ganz persönliche und private Eindrücke der Ankunft in den 60er und 70er Jahren. Zum anderen aber beackern sie Themenfelder, die sonst kaum im öffentlichen Diskurs
stehen. Wie zum Beispiel fühlt sich jemand, der in Deutschland geboren ist, aber ab dem 16. Geburtstag auf einmal als "Ausländer" gilt und ständig zu diversen Ämtern muss? Wie einer, der im Laufe
seines Lebens immer neue Etiketten wie etwa "Gastarbeiterkind", "Migrant" oder "Deutscher mit Migrationshintergrund" verliehen bekommt?
Angesichts der Tatsache, dass die diesjährige Frankfurter Buchmesse ganz im Zeichen der türkischen Literatur stehen wird, ist es kaum nachvollziehbar, dass Frankfurt am Main als Zentrum der
türkischsprachigen Medien in Europa seit über 40 Jahren nicht wahrgenommen wird.
Von Wahlen ausgeschlossen
Unverständlich ist es auch, dass Menschen, die in unserem Land seit über 30 Jahren leben, noch immer kein kommunales Wahlrecht besitzen, weil sie nicht aus einem der EU- Mitgliedsstaaten
kommen.
In Frankfurt betrifft das immerhin jeden 5. Bewohner - ergo braucht man sich über mangelndes politisches Engagement nicht zu wundern. Das politische Desinteresse ist oft beidseitig,
verkörpern diese Menschen doch keine potenziellen Wählerstimmen.
Interessant ist auch die veränderte eigene Wahrnehmung der Türken in Deutschland. Kamen die meisten von ihnen in den 60er Jahren noch selbstbewusst und politisch engagiert nach Deutschland,
hat sich dank der massiven politischen Veränderungen in der Türkei und der Erkenntnis, dass der kurze Aufenthalt hier womöglich doch zur Lebensentscheidung wird, das Blatt schnell gewendet. Der
Rückzug ins Private folgte.
Als Muslime abgestempelt
Seit dem 11. September 2001 werden die Türken in der Öffentlichkeit oftmals rigoros als Muslime abgestempelt und dementsprechend noch misstrauischer beobachtet. Hinzu kommen die
Berichterstattungen über kriminelle Jugendliche der dritten oder vierten Generation, die zudem sowieso nur die Hauptschule schaffen würden und sich keinesfalls so integrieren, wie vom Staat
gewünscht.
Das Interesse an den kulturellen Wurzeln, an den sozialen Strukturen der türkischen Gemeinschaft in Deutschland und deren kulturellen Leistungen und Potentialen scheint heutzutage minimal zu
sein. Das Buch bietet einen sehr lesenwerten Einblick in die Eigenwahrnehmung der Türken und der Fremdwahrnehmung seitens unserer Gesellschaft. Es regt zur Diskussion an und eröffnet neue
Blickwinkel über den Tellerrand der medialen Vermittlung hinaus.
Maxi Hönigschmid
Beatrix Caner (Hrsg.): Doppelte Heimat. Türkische Migranten berichten. 147 S., 16,90€, Heinrich & Hahn Verlag, ISBN: 978-3-451-05886-8
0
Kommentare
Noch keine Kommentare