Nach fünf Jahren Filmpause hat der Finne wieder gedreht - aber nicht in der Heimat sondern im fernen Frankreich. Den Franzosen gefiel's. Vor ein paar Wochen in Cannes bekam der Film mit dem Namen einer Hafenstadt bereits den FIPRESCI-Kritiker-Preis. Dabei ist der Plot so überschaubar wie öde: Der Held, Marcel Marx, ist Schuhputzer und hat eine soziale Ader. Deshalb versteckt er einen afrikansichen Flüchtling bei sich zuhause und schmuggelt ihn schließlich auf ein Schiff nach London. Das war's. Der Rest ist reine Regie-Meisterschaft, genüsslich Selbstironie.
Kaurismäkis Schauspieler sagen die Texte so teilnahmslos her wie Mittelschüler ein Frühjahrsgedicht, sie stellen sich immer genau ins Scheinwerferlicht und warten dort unmotiviert auf ihren Part. Wenn sie schon einmal etwas tun dürfen, dann tun sie es so penibel, dass es irritiert. Der Afrikanerjunge etwa spült demonstrativ einen einzelnen Teller ab, die Spülbürste zieht hypnotisch ihre Kreise und die durchsichtige Regieanweisung nimmt sich selbst, das Kino und das ganze Filmemachen auf die Schippe.
Tempo in einen Kaurismäki-Film zu bringen, wäre indessen in etwa so, als wollte man eine Schnecke bewegen, an einem Hürdenlauf teilzunehmen. Die Bösewichte sind unterbelichtete Polizisten und eine Petze aus der Nachbarschaft, die Helden sind gutmütig-naive Gemüsehändler, Bäcker, Musiker oder Hausfrauen, die sich gegenseitig Kafka vorlesen.
Etwa die letzten Sätze aus "Kinder auf der Landstraße!": "Dort sind Leute! Denkt euch, die schlafen nicht!" - "Und warum denn nicht?" - "Weil sie nicht müde werden." - "Und warum denn nicht?" "Weil sie Narren sind." - "Werden denn Narren nicht müde?" -"Wie könnten Narren müde werden!"
Gianfranco Rosi: "Sicario"
Wenig herzlich geht es auch in einem Doku-Highlight des Münchner Filmfests zu. Der Protagonist hat Drogen geschmuggelt, Schutzgeld erpresst, er hat gefoltert und getötet. Er war ein
"Sicario", ein Auftragskiller. Einen Namen hat er heute nicht mehr. Er ist ausgestiegen, mit Frau und Kind ist er auf der Flucht. Der Dokumentarfilm, in dem er sein Leben schildert, heißt nach
dem Hotelzimmer, in dem er sich interviewen ließ: "Room 164".
Mehr ist in den knapp anderthalb Stunden auch nicht zu sehen. Ein Mann, der sich ein schwarzes Tuch über den Kopf gelegt hat, um nicht erkannt zu werden, ein schlichtes Zimmer und ein Bogen Papier, auf den der Killer schreibt, skizziert, malt, was er zu berichten hat. Er erzählt von spezialisierten Einsatzkommandos der Drogenbosse in Mexiko, für die er gearbeitet hat.
Einige beschatten, andere entführen, wieder andere morden oder schaffen die Leichen weg. Er hat das alles getan. Er hat Menschen mit Benzin überschüttet und angezündet, er hat andere unter Wasser getaucht und wieder herausgezerrt, um sie am Leben zu erhalten, damit das Ertränken recht lange dauert. Manchmal war das Wasser, in das er seine Opfer tauchte, siedend heiß, so dass sich ihnen das Fleisch vom Körper löste bevor sie starben.
Er weiß von Drogenlieferungen, die nicht in Rucksäcken über die Grenze geschmuggelt werden, sondern die Tonnenweise durchs Land transportiert werden, häufig eskortiert von Polizeifahrzeugen. Manchmal liegt die illegale Fracht direkt in den Einsatzwägen der Polizei. Er berichtet von so genannten "sicheren Häusern", Gebäuden, in die Mexikos Auftragskiller sich nach der Tat zurückziehen. Orte, an denen nie eine Razzia stattfindet, Orte, an denen Drogen umgeschlagen werden, Waffen lagern und an denen Leichen im Garten vergraben sind.
Nicht drei, vier, fünf oder sechs Leichen liegen dort, versichert der Mann ohne Gesicht, sondern drei- oder vierhundert wurden dort verscharrt und jede Woche kommen neue Leichen dazu. 50 von 200 Absolventen der Polizeischule sind Spitzel, schätzt er. Ihn selbst haben sie dort eingeschleust, als er alt genug war. Die Polizei besorgt die Ausbildung für die Drogenkartelle. Sie trainiert den Nachwuchs im Umgang mit der Waffe, bringt ihm Verhörtechniken bei und hält sie körperlich fit.
Der italienische Dokumentarfilmer Gianfranco Rosi liefert zu den Erzählungen keine Bilder, seine Kamera hält an wenigen Einstellungen fest, er stellt auch keine Szenen nach, sondern er überlässt es dem Zuschauer sich vorzustellen, was die vielen Kreuze bedeuten, die der Sicario auf das Papier auf seinem Schoß malt, wenn er von einem Einsatz erzählt.
Nicht immer ist ein Mord nur ein Mord. Manchmal ist er vor allem eine Botschaft. Die fällt anders aus, je nachdem, wie das Opfer zugerichtet wird. Mal werden ihm die Augen ausgestochen, mal wird der Finger abgetrennt und in den Mund des Opfers geschoben - oder in seinen Hintern. Die Botschaft des Film ist klar: hört zu, schaut hin, ein Land versinkt im Chaos, ein Staat wird unterwandert.
Lutz Hachmeister: "The Real American"
Ein Staat wird unterwandert, das plärrte auch der US-Senator Joseph McCarthy Anfang der 50er Jahre. "The Real American", Lutz Hachmeisters Doku über den Farm-Boy aus Wisconsin, lässt uns wissen, dass der große Denunziant, der stolz herumposaunte, er habe nie ein Buch zu Ende gelesen, nicht einmal während seines Jura-Studiums kein Anti-Kommunist war, sondern bloß ein Karrierist. Er hätte seinen Senatoren-Posten schnell wieder eingebüßt, wäre er nicht auf die Idee gekommen, eine kommunistische Verschwörung in der US-Regierung zu behaupten und so Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Der Karrieretrick, immer lauter zu keifen und immer spektakulärere Anschuldigungen vorzubringen, nutzt sich schnell ab. Der hemdsärmelige Senator hat bereits 1954 abgewirtschaftet. Keinen einzigen Spion habe er enttarnt, resümieren Hachmeisters Gesprächspartner, darunter Henry Kissinger. Der weiß, McCarthys Behauptung, 205 Mitarbeiter aus dem Auswärtigen Amt seien Verschwörer, sei frei erfunden gewesen. Selbst die CIA habe sich geweigert, seiner albernen Kommunistenjäger-Kommission Material bereitzustellen.
Ehemalige Mitarbeiter McCarthys bestätigen, der Senator habe keinen blassen Schimmer davon gehabt, worüber er sprach und die Arbeit seines Teams sei schlecht organisiert gewesen. Sein engster Vertrauter Roy Cohn, der dabei war, als McCarthy behauptete Homosexuelle seien besonders anfällig für den Kommunismus und müssten daher aus dem Staatsdienst entfernt werden, war selbst schwul und starb 1986 an AIDS.
McCarthys Hetzkampagnen werden zu medialen Flops, auch seine Einheirat in den Kennedy-Clan kann den Chefankläger nicht vor dem politischen Absturz retten. Er trinkt, versucht, die kinderlose Ehe mit einer Adoption zu kitten und stirbt bereits 1957 an Leberzirrhose. Einige Jahre später zelebriert Allen Ginsberg auf seinem Grab einen Exorzismus, um die Seele des Hasspredigers in die Hölle zu schicken.
"Je verwirrender, je schmutziger ein Film ist, desto besser", sagt der Regisseur Lutz Hachmeister auf dem Filmfest über sein Werk. So verwirrend ist seine Arbeit allerdings nicht. Den Versuch, McCarthy zu rehabilitieren, hat er erst gar nicht unternommen. Zu sinnlos das Unterfangen.
Stattdessen zeigen Originalaufnahmen den paranoischen Choleriker wie er in die Fernsehkameras schreit und nachgestellte Spielszenen zeigen ihm beim Whiskey-nachgießen im kleinen Beraterkreis oder im kumpeligen Plausch mit Journalisten.
Trotzdem: "The real American" ist feinste Dokumentarfilmer-Arbeit auf der Grundlage von jahrelangen Archiv-Recherchen mit aufschlussreichen Statements von Opfern, politischen Anhängern, ehemaligen Gefährten und gar heutigen Fans McCarthys.
Lutz Hachmeister hat die deutsche Produktion während des Filmfests an die BBC verkauft, ein seltener Coup für eine deutsche Produktion. Er wird sich weiter an den Bösewichten der Weltgeschichte abarbeiten. "Nach Goebbels war McCarthy einfach an der Reihe", sagt er im Anschluss an die Premiere in München. Sein derzeitiges Projekt: ein Film über Peter Hartz.