Kultur

Neues Buch von Sigmar Gabriel: Ärmel hochkrempeln statt Gürtel enger schnallen

Am Dienstag hat Sigmar Gabriel sein neues Buch vorgestellt. „Mehr Mut!“ heißt es und Gabriel fordert darin mehr Engagement Europas und Deutschlands in der Welt. Einen Ratschlag an die SPD gab es am Ende auch.
von Kai Doering · 11. März 2020
Zwei, die sich kennen und schätzen: Sigmar Gabriel und Johannes B. Kerner bei der Vorstellung von "Mehr Mut!"
Zwei, die sich kennen und schätzen: Sigmar Gabriel und Johannes B. Kerner bei der Vorstellung von "Mehr Mut!"

„Mehr Mut!“ lautet der Titel des neuen Buchs von Sigmar Gabriel. Man könnte meinen, viele hätten sich die Aufforderung zu Herzen genommen als es der frühere SPD-Vorsitzende und Außenminister am Dienstag in Berlin vorstellt. Denn trotz Corona-Angst ist der Raum in einer großen Buchhandlung an der Friedrichstraße bis auf den letzten Platz gefüllt. Hinten und an den Seiten stehen weitere Zuhörer*innen.

Auf einer kleinen Bühne sitzen Gabriel und der Fernsehmoderator Johannes B. Kerner. Die beiden kennen sich seit Jahren. Von einer Freundschaft will Kerner trotzdem nicht sprechen, sondern lieber von einem „vertrauensvollen Verhältnis“. Zu dem gehört das „Du“ dazu. Er wolle nur kurz ein paar Fragen stellen. „Du hörst dich ja ohnehin lieber selber reden“, sagt Kerner, was ihm umgehend ein grinsendes „Unerhört!“ von Gabriel einbringt.

Zwischen Hasenkäfig und Deutscher Bank

Dann geht es los. Ob er denn schon abgewaschen und die Wäsche gemacht habe, will der Moderator zunächst wissen. Kerner spielt damit auf die Danksagung Gabriels am Ende des Buches an, in der er sich bei seiner Frau dafür entschuldigt, dass er während des Schreibens keine Zeit für Hausarbeit gefunden habe. „Ich werde zuhause nur für niedere Tätigkeiten eingesetzt, einkaufen und den Hasenkäfig sauber machen zum Beispiel“, antwortet Gabriel, der immerhin Vorsitzender der „Atlantikbrücke“ und designiertes Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank ist.

Nach diesem Vorgeplänkel, das für viele Lacher im Publikum sorgt, kommen die beiden zum Buch. Warum er, Gabriel, es geschrieben haben, will Kerner wissen. „Ich werde beim Schreiben gezwungen, Dinge gründlicher zu durchdenken und meine Gedanken zu ordnen.“ Im politischen Alltag bleibe dafür häufig viel zu wenig Zeit. Das sei auch ein Grund dafür, dass Politiker*innen kaum mal den Blick auf die kommenden zehn oder gar 15 Jahre richteten.

Venedig als Warnung für die Zukunft

Genau das aber macht Gabriel in seinem neuen Buch. „Aufbruch in ein neues Jahrzehnt“ lautet nicht umsonst der Untertitel. Der ehemalige Außenminister beschreibt darin, wie er sich die Welt und Deutschlands Rolle in Zukunft vorstellt. Einiges erinnert an sein Buch „Zeitenwende in der Weltpolitik“ aus dem Jahr 2018. Im Zentrum von Gabriels Überlegungen steht auch im neuen Buch Europa. „Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, ob dieser Kontinent souverän bleibt“, prophezeit er bei der Buchvorstellung.

Um den Ernst der Lage zu beschreiben, erzählt Gabriel eine Geschichte. Im Mittelalter sei Venedig die wichtigste und mächtigste Stadt der Welt gewesen. Dann hätten sich langsam über die Jahrhunderte die Handelswege verlagert. „Die Venezianer haben das gar nicht mitbekommen und heute ist Venedig ein Museum.“ Die Botschaft der kleinen Geschichte ist klar: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

„Der Interessenlose ist manchmal der Glaubwürdigste.“

Dass Gabriel das nicht möchte, macht er mehr als deutlich. Auch heute verlagerten sich die Wirtschaftsachsen, vom Atlantik in den Pazifik. „Und die Europäer stehen staunend vor dieser Entwicklung.“ Doch Sigmar Gabriel wäre nicht Sigmar Gabriel, wenn er nicht ein Rezept dagegen hätte. „Europa muss wirtschaftlich stark und attraktiv bleiben“, lautet ein Ratschlag, „Europa muss lernen, ein globaler Akteur zu werden“, ein anderer.

Deutschland könne dabei eine wichtige Rolle spielen. Als Beispiel nennt Gabriel die Libyen-Konferenz, die im Januar auf Vermittlung seines Amtsnachfolgers Außenminister Heiko Maas in Berlin stattgefunden hat. Hier habe Deutschland deshalb so gut vermitteln können, weil es selbst keine Interessen im Land verfolge, meint Gabriel. „Der Interessenlose ist manchmal der Glaubwürdigste.“

Zum Schluss ein Ratschlag für die SPD

Über die SPD ist bei so viel Weltpolitik nach einer Stunde kaum ein Wort gefallen bis Johannes B. Kerner seine letzte Frage stellt. Welche SPD ihm denn am liebsten sei, will er von Gabriel wissen – die der Wähler, die der Mitglieder oder die der Funktionäre. „Die erste und die zweite“, antwortet der Ex-Vorsitzende unumwunden, zumal sich beide sehr ähnlich seien.

Um wieder erfolgreich zu werden, sei für die SPD entscheidend, „den Sozialstaat nicht auf den Sozialhifelstaat  zu reduzieren“. Auch müsse seine Partei die „Grundidee der Freiheit“ neu entdecken. „Es geht nicht darum, den Gürtel enger zu schnallen, sondern die Ärmel hochzukrempeln.“

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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